Prof. Starbatty (Foto) reagierte mit einem offenen Brief auf das von der Rheinischen Post veröffentlichte Interview mit Prof. Christoph Schmidt. Die Rheinische Post bringt daraus aber nur einige Zitate von Prof. Starbatty. Unter dem RP-Artikel fehlt leider auch ein Kommentarbereich für Interessierte, die die Diskussion verfolgen.
Daher hier der ganze Offene Brief von Prof. Starbatty, der der Rheinischen Post ein öffentliches Streitgespräch vorschlägt (wie es zum Beispiel die FAZ mit Lucke und Snower veranstaltet hat). Die Mitglieder der AfD Mönchengladbach würden eine solche öffentliche Disputation sehr begrüßen!
Offener Brief
Stellungnahme zum Interview von Christoph Schmid („RWI-Chef und Vorsitzender der Wirtschaftsweisen“), in: Rheinische Post, 25.05.2013: „Der Anti-Euro-Partei fehlt Sachverstand“
Sehr geehrter Herr Kollege Schmidt,
Sie haben in Ihrem Interview den politischen Kurs der „Alternative für Deutschland“ scharf attackiert und die Mitglieder ihres wissenschaftlichen Beirats persönlich verunglimpft. Auf die Kollegenschelte will ich nicht eingehen. Das ist eine Frage des persönlichen Stils. Entscheidend sind die Argumente, die jeder Politiker und Wissenschaftler für oder gegen einen Sachverhalt vorbringt. Wenn Sie Interesse an einer grundlegenden argumentativen Auseinandersetzung haben, dann empfehle ich Ihnen der Einfachheit halber mein Buch „Tatort EURO“.
Sie sagen, es wäre gerade fahrlässig, den Bürgern zu sagen, wir könnten ohne allzu große Kollateralschäden südeuropäische Länder aus der Eurozone ausscheiden lassen oder sogar zur D-Mark zurückkehren.
Die entscheidende Frage für die Zukunft der Europäischen Währungsunion lautet: Werden die notleidenden Schuldnerstaaten ihre verloren gegangene Wettbewerbsfähigkeit durch die ihnen aufgezwungene „Austerity-Politik“ zurückerlangen oder werden sie sich zukünftig weigern, nach der, wie diese Länder es empfinden, deutschen Pfeife zu tanzen. Der neu gewählte italienische Ministerpräsident macht den in Italien verhassten Reformkurs seines Vorgängers rückgängig; der französische Finanzminister hat öffentlich gesagt: Das Austeritätsdogma ist tot – damit meint er den Kurs von Angela Merkel. Die Frage der Neuordnung der Europäischen Währungsunion muss daher unter dem Aspekt geprüft werden, ob wir gutes Geld schlechtem hinterherwerfen. Sie wissen auch, dass mit Bürgschaften und Gewährleistungen nicht notleidende Länder, sondern Banken gerettet werden.
Investoren würden wahrscheinlich massiv gegen den Euro spekulieren, wenn wir auch nur ein einziges Land aus dem Euro herausdrängten. Die Währungen der austretenden Länder würden so massiv abwerten ….
Zunächst zum rechtlichen Sachverhalt: Niemand kann ein Land aus dem Euro herausdrängen. Nun zur ökonomischen Logik: Wenn Sie unterstellen, dass die Währungen der austretenden Länder dramatisch abgewertet würden, meinen Sie wohl die südeuropäischen Länder. Damit räumen Sie ein, dass diese wegen ihrer Mitgliedschaft in der Eurozone ihre Wettbewerbsfähigkeit verloren haben. Ich kenne kein Land, das einen Abwertungsbedarf von ca. 30 % und mehr erfolgreich durch internes Sparen hätte kompensieren können.
Es ist zudem vollkommen naiv zu denken, man könne hier nur rein ökonomisch argumentieren und die politische Realität einfach ausblenden…
Wie stellt sich die politische Realität zur Zeit dar? Bei einem Staatsbesuch von Bundeskanzler Konrad Adenauer in Athen reichten seinerzeit sieben Polizisten aus; für den Schutz von Angela Merkel im Herbst 2012 waren dagegen 7.000 Polizisten notwendig. Ihre Behauptung, dass bei einer Neuordnung der Währungsunion sofort der europäische Integrationsprozess in Frage stünde, ist falsch. Es ist genau umgekehrt: Der europäische Integrationsprozess ist in Gefahr, weil Bürgschaften und finanzielle Gewährleistungen aufgewendet werden, um eine falsch konstruierte Währungsunion zusammenzuhalten.
Das Risiko eines Scheiterns des Euro ist größer als das der Rettung, weil wir in eine große Wirtschaftskrise stürzen würden.
Die wahrscheinliche Entwicklung in der Eurozone verläuft wie folgt: Der Austerity-Kurs der Bundeskanzlerin wird in der Eurozone nicht länger akzeptiert. Nach der Bundestagswahl wird es einen Schuldenschnitt für Griechenland, also einen erheblichen Zahlungsausfall für Deutschland und die anderen Gläubigerstaaten geben. Weitere Schuldnerländer werden ebenfalls einen Schuldenschnitt fordern. Schließlich wird der endgültige Übergang in eine Haftungs- und Transfergemeinschaft beispielsweise über Gemeinschaftsanleihen (Euro-Bonds) als unvermeidlich angesehen. Wir stehen vor der Alternative eines Endes mit Schrecken oder eines Schreckens ohne Ende.
Entscheidend ist für mich, dass die AfD bereit ist, den Frieden in Europa aufs Spiel zu setzen.
Das ist eine Unterstellung. In Wirklichkeit ist das Gegenteil richtig: Nur bei einer wirtschaftlichen Gesundung der notleidenden Schuldnerstaaten bleibt der innere Frieden in Europa gewahrt. Der Riss durch die Eurozone wird besonders durch die Entwicklung der Arbeitslosenquote der unter 25-Jährigen dokumentiert. Sie ist in den notleidenden Schuldnerstaaten wie folgt angestiegen (2007/2013, jeweils in Prozent): In Irland von 7,0 auf 30,3; in Portugal von 17,1 auf 38,3; in Spanien von 17,4 auf 55,9; in Italien 20,2 auf 38,4; in Zypern von 9,0 auf 32,3 und in Griechenland von 24,6 auf 59,1. Zum Vergleich: In Deutschland ist die Jugendarbeitslosigkeit von 13,4 auf 7,6 Prozent zurückgegangen. Wie soll der innere Friede in der Eurzone gesichert werden, wenn der Jugend die Chance genommen wird, im eigenen Land einen Arbeitsplatz zu finden?
Wir haben bisher nur Zeit gekauft
Ja, Sie haben recht, oder exakter formuliert: Mit den ausgereichten Geldern ist der Staatskonkurs in einigen Ländern bloß verschleppt, aber nicht abgewendet worden. Die Europäische Zentralbank will Staatsanleihen bedrohter Länder ankaufen, um die Eurozone zusammenzuhalten. Die gefährlichen Konsequenzen dieser Politik haben Sie korrekt beschrieben.
Altschuldentilgungsfonds als Befreiungsschlag
Ihr Vorschlag ist nichts anderes als eine Zusammenlegung der Altschulden. Dass das zu einer Erleichterung für die notleidenden Schuldnerstaaten führt, ist richtig. Entscheidend ist aber, ob sie über ein Geschäftsmodell verfügen, das sie in die Lage versetzt, ihre Schulden zurückzuzahlen. Sie sagen, dass alle teilnehmenden Länder zu strikter Haushaltsdisziplin und Reformen verpflichtet werden müssten. Und wenn sie sich nicht daran halten? Wollen Sie dann Polizei hinschicken oder diese Länder aus der Eurozone hinauswerfen?
Bei einer Bankenunion würden andere Länder einen Teil der Altlasten gerne Deutschland aufbürden.
Ja, so ist es. Das lehnen Sie ab. Was sagen Sie aber, wenn die entsprechenden Länder vorbringen, ohne Vergemeinschaftung der Altschulden breche ihr Bankensystem zusammen und dann sei auch ein Staatsbankrott unvermeidlich?
Ihre Ausführungen zu Haftungskaskade, Steuererhöhung, Konjunkturentwicklung und Mindestlohn.
Mit allen Ihren Aussagen, die Sie aufgrund Ihres ökonomischen Sachverstands treffen, bin ich einverstanden.
Sehr geehrter Herr Kollege Schmidt,
ich schlage Ihnen eine öffentliche Disputation über Europa und die Währungsunion vor. Dann können sich die Zuhörer selbst ein Urteil bilden. Vielleicht könnten wir die Leitung der Rheinischen Post bitten, eine solche Veranstaltung für uns zu organisieren.
Mit kollegialen Grüßen
Joachim Starbatty
Siehe auch:
Was erlauben Schmidt? – Eine (erste) Replik auf das Interview in der RP vom 25. Mai 2013 von Prof. Osbild
Danke !
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