Bertelsmann-ZEW-Studie: Positive fiskalische Effekte der Zuwanderung sind ein blankes Märchen.
„Die heute in Deutschland lebenden Ausländer sorgen für ein erhebliches Plus in den Sozialkassen. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) im Auftrag der Bertelsmann Stiftung. Die 6,6 Millionen Menschen ohne deutschen Pass sorgten 2012 für einen Überschuss von insgesamt 22 Milliarden Euro. Jeder Ausländer zahlt demnach pro Jahr durchschnittlich 3.300 Euro mehr Steuern und Sozialabgaben als er an staatlichen Leistungen erhält.“ (Presseerklärung der Bertelsmann-Stiftung, abgerufen am 28.11.2014 unter http://www.bertelsmann-stiftung.de/cps/rde/xchg/SID-B152231E-60316AFD/bst/hs.xsl/nachrichten_122555.htm.
So ähnlich haben es auch zahlreiche Presseorgane (ab-)geschrieben. Leider ist das nicht einmal die halbe Wahrheit. Ich habe die ZEW-Studie gelesen; sie ist auf der genannten Website frei abrufbar. Alle Zitate beziehen sich auf diese Studie.
Schon auf Seite 3 wird ein ganz anderes Bild gezeichnet: „Stellt man alle allgemeinen Staatsausgaben, etwa für Verteidigung oder Straßenbau, mit in Rechnung, schlägt für jeden lebenden Ausländer ein langfristiges Staatsdefizit von 79.100 Euro, für jeden lebenden Deutschen von 3.100 Euro zu Buche. Wegen dieses Defizits weist das Staatsbudget, wenn nicht gehandelt wird, langfristig eine Tragfähigkeitslücke von fast 150 Prozent des Bruttoinlandsprodukts auf“ – dies ist fast doppelt so hoch wie die derzeitige Schuldenlast von knapp 80%.
Das aber wird in der Pressemitteilung von Bertelsmann unterschlagen. Kein Wunder, schreibt doch das ZEW in aller Deutlichkeit, welche Intention hinter der Studie steht: „Und zu guter Letzt muss eine moderne Migrationspolitik die kontroverse gesellschaftliche Debatte über Multikulturalität entschärfen, die in Teilen der Bevölkerung existierenden Befürchtungen zerstreuen – zu der auch die eingangs erwähnte Sorge um die angeblichen Belastungen der Sozialsysteme durch Ausländer gehören – und Vielfalt im Selbstverständnis des Landes als positives Narrativ verankern“ (S.4; Hervorhebung durch Verfasser).
Wenn man diesen sozialpädagogischen Zweck des Auftraggebers im Hinterkopf behält, so ist es anerkennenswert, dass ZEW-Autor Holger Bonin durchaus offen und in Zwischentönen die Wahrheit offenlegt.
Vorab ist festzuhalten, wer nicht zu den 6,6 Mio Ausländern zählt: Doppelte Staatsangehörige, Aussiedler, Personen, die die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen haben oder durch Geburt zu Deutschen wurden trotz nicht-deutscher Herkunft der Eltern. Hier wurden also bereits große Gruppen ausgeklammert oder auf fragliche Weise mit den von deutschen Eltern geborenen Bundesbürgern in einen Topf geworfen. Da man das aber aus methodischen und datentechnischen Gründen (wahrscheinlich) nicht besser lösen kann, folgen wir im weiteren der Definition des ZEW.
1. Die Analyse der bereits 2012 hier lebenden Ausländer
Die eingangs erwähnten 22 Mrd. Plus für die öffentlichen Haushalte beruhen vor allem auf der günstigen Altersstruktur der hier bereits lebenden Ausländer sowie der guten Arbeitsmarktsituation, da zurzeit genügend Stellen auch im Niedriglohnsektor vorhanden sind. In der Gruppe der ausländischen Mitbürger gibt es wenig Ältere und damit deutlich weniger Rentenbezieher als bei den Nicht-Ausländern. Das ist aber nur ein temporärer Effekt.
Methodisch korrekt ist es, Vergleichbares miteineander zu vergleichen, also die Beiträge (geleistete Steuern und Sozialabgaben) und Lasten (Renten, Arbeitslosen-, Kinder-, Wohngeld usw.) über das gesamte Leben hinweg.
Wenn man dies tut, indem man die „Bilanz“ zweier 2012 hier geborener Menschen – der eine Deutscher, der andere Ausländer – nebeneinander stellt, dann ergibt sich ein sensationeller Unterschied in Höhe von rund 155.000€ zu Lasten der Deutschen. „ Wählt man die vorausschauende Perspektive der Generationenkonten, welche den Alterungsprozess in der Ausgangsbevölkerung mit einbezieht, ist die fiskalische Bilanz der bereits in Deutschland lebenden Ausländer weniger positiv, als wenn man den aktuellen Finanzierungsbeitrag betrachtet. In der ausländischen Bevölkerung haben erheblich weniger Jahrgänge eine positive Generationenbilanz als in der deutschen Bevölkerung. Ausländer, die 2012 geboren wurden, werden unter Status-quo-Bedingungen über den gesamten Lebenszyklus hinweg im Gegenwartswert durchschnittlich rund 44.100 Euro mehr an Transfers erhalten, als sie an Steuern und Beiträgen zahlen. Dagegen erbringen die 2012 geborenen Deutschen einen deutlich positiven Finanzierungsbeitrag zu den öffentlichen Haushalten. Sie zahlen im Lebensverlauf durchschnittlich rund 110.800 Euro mehr an Steuern und Beiträgen, als sie an individuell zurechenbaren Transfers empfangen.“ (S.30; Hervorhebung durch Verfasser)
Ursachenforschung
Eine der möglichen Ursachen wird auf Seite 32 angeboten: „Die schlechtere Integration der Ausländer in den Arbeitsmarkt, aber auch ihre geringeren Rücklagen an Vermögen, sind mit einer gegenüber den Deutschen deutlich höheren Inanspruchnahme an Arbeitslosengeld und Sozialtransfers (Sozialhilfe, Arbeitslosengeld II, Wohngeld) verbunden. Die über den Lebenszyklus empfangenen Leistungen sind um 83,4 Prozent höher als bei den Deutschen.“
Internationaler Vergleich
Würde man die Zuwanderung gut Qualifizierter forcieren, wie in der Schweiz und Luxemburg, dann läge der fiskalische Effekt für den deutschen Staatshaushalt 20 Mal so hoch. „Grundsätzlich gilt: Der laufende Nettofinanzierungsbeitrag von Migrantenbevölkerungen zu den öffentlichen Haushalten ist im Allgemeinen gering. International beträgt er gemäß den vergleichenden Analysen der OECD meist unter 0,5 Prozent des laufenden Bruttoinlandsprodukts. Der aktuelle Wert für Deutschland liegt bei dieser Rechnung mit weniger als 0,1 Prozent eher am unteren Rand. Internationale Spitzenreiter sind die Schweiz und Luxemburg mit geschätzten laufenden fiskalischen Beiträgen in der Größenordnung von zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Die Situation in diesenbeiden Ländern ist allerdings untypisch: Die Anteile der ausländischen Bevölkerung an der Wohnbevölkerung sind hier extrem hoch und zudem stark durch wirtschaftlich motivierte Zuwanderung von Gutqualifizierten geprägt.“ (S.34)
Erweiterte Fragestellung
Wenn man die Fragestellung ausweitet und allgemeine Staatsausgaben pro Kopf der Bevölkerung mit einbezieht, so sieht das Bild wie folgt aus: Neugeborene Ausländerkinder „erwirtschaften“ ein Defizit (Gezahlte Abgaben minus zu finanzierende Staatsleistungen) von 196.000€. Dieses Minus ist um 155.000€ höher als das des deutschen Neugeborenen, vergleichbar mit der o.g. Differenz (vgl. Zitat S. 30):
„Einen individuellen Finanzierungsbeitrag, der höher ist als die zugerechneten allgemeinen Staatsausgaben, leisten im Durchschnitt nur die am Ausgangspunkt der Rechnung 20- bis 33-jährigen Ausländer und die 5- bis 48-jährigen Deutschen. Jedes Neugeborene schafft über den gesamten Lebensverlauf gerechnet ein ganz erhebliches Defizit: Bei Ausländerkindern steht ein Kohortendefizit von 196.000 Euro, bei den Deutschen von immerhin noch 41.100 Euro zu Buche. Dieselben Werte ergeben sich dem Prinzip nach auch für alle künftig geborenen Generationen, soweit sie sich fiskalisch wie ihre Eltern verhalten werden und der Staat in Zukunft nicht bei den allgemeinen öffentlichen Ausgaben spart. Gewichtet man die Kohortensalden der lebenden Generationen mit der jeweiligen Altersstruktur der beiden Bevölkerungsgruppen, verschlechtert die deutsche Bevölkerung des Jahres 2012 das intertemporale Staatsbudget pro Kopf um durchschnittlich 3.100 Euro, die ausländische Bevölkerung pro Kopf um 79.100 Euro. (S.36).
2. Die Analyse der Neuzuwanderer
Für neu zugewanderte Ausländer lassen sich nur unter der Annahme, dass sie sich ähnlich verhalten und entwickeln wie bereits länger hier lebende Ausländer, Aussagen treffen. Das macht die Sache aber nicht besser, im Gegenteil: „Somit ergibt sich als Diagnose, dass künftige Zuwanderer, soweit das Niveau der von ihnen geleisteten Steuer- und Beitragszahlungen und der empfangenen Transfers dem der aktuell in Deutschland lebenden Ausländer entspricht, bei einer intertemporalen Rechnung keine Entlastung, sondern eine Belastung für den öffentlichen Gesamthaushalt darstellen. Wie Tabelle 5 zeigt, steigt die mit den fiskalpolitischen Parametern des Jahres 2012 verbundene Nachhaltigkeitslücke von 146,6 Prozent auf 206,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, wenn man ein Bevölkerungsszenario ohne Wanderungsbewegungen und eine demografische Entwicklung mit 200.000 Zuwanderern netto pro Jahr vergleicht.“ (S.41, Hervorhebung durch Verfasser).
Anders formuliert: Pro 100.000 netto neu Zugewanderter erhöht sich die fiskalische Lücke, die von diesen Neubürgern gerissen wird, um rund 30 Mrd. €. Anders ausgedrückt: würde eine Kopf-Steuer von den hier lebenden Deutschen und Ausländern erhoben, um eine schuldenfreie Finanzierung des Staates sicher zu stellen, dann müsste diese jährlich Kopfsteuer von 1082€ (ohne Zuwanderung) über 1155€ (bei 100.000 Zugewanderten) auf gar 1245€ (bei 300.000) anwachsen, also plus 15%. (S. 41).
3. Fazit
Die euphorische Presseerklärung der Bertelsmann-Stiftung, die vielfältig von den deutschen Medien unkritisch übernommen wurde, spiegelt in keinster Weise die vielschichtige Analyse und die ambivalenten Aussagen der ZEW-Studie wider. Unterm Strich muss gesagt werden, dass ein massiver Einkommenstransfer von Deutschen zu Ausländern stattfindet, in der Größenordnung von rund 155.000€ je Kopf, und dass dieser nur durch zwei Effekte kaschiert wird: die derzeit noch günstige Altersstruktur der Ausländer, sowie die gute Arbeitsmarktsituation hierzulande.
Es gibt hierzu einen Kommentar von Peter Berger beim Magazin „Creditreform“ unter folgendem link:
http://creditreform-magazin.de/2014/11/27/handelsblatt-news/handelsblatt/auslaender-entlastet-deutsche-sozialkassen/#comment-2073
Der Link ist ausgezeichnet,
vielen Dank Herr Fürst! So etwas darf man gezielte Meinungsbeeinflussung nennen.
Hier muss man wirklich fragen:
wer ist die Bertelsmann Stiftung, die diese „Untersuchung“ mit dem gewünschten Ergebnis in Auftrag gegeben hat. Nun, sie ist „international“, „industrienah“, wie man das ausdrückt, der Aufsichtsratsvorsitzende ist Direktor bei Nestle.
„Deutschland“ spielt da wohl eher keine Rolle.
Danke für den Beitrag. Wir deutschen müssen akzeptieren, dass wir ohne Einwanderung unsere eigen Existenz in Gefahr bringen. Wer sich der Veränderung verschließt wird keine Zukunft haben.