Prof. Osbild (Foto) erklärt die Eurokrise – Teil 1: Wieso die Deutschen nicht vom Euro profitieren!
Kürzlich veröffentlichte die EZB einen Überblick über die Einkommens- und Vermögenssituation in den 17 Eurostaaten [1] . Dieser zeigt: Deutschlands Vermögen liegen nach so gut wie allen Maßstäben unter dem Euroland-Durchschnitt. Mehr noch: Die Vermögen des Median-Griechen, -Italieners, -Spaniers, -Iren und – vor allem – Median-Zyprioten liegt zum Teil um ein Vielfaches über dem des Median-Deutschen (Dieses ist der Deutsche, der genau in der Mitte stehen würde, würde man alle Bürger von arm nach reich sortiert in eine Reihe stellen).
Damit gehören die Deutschen bestenfalls noch zum Mittelfeld in Europa. Grund: ein gigantischer Ressourcenabfluß in Euro-Krisenländer von geschätzten 855 Mrd. Euro. Jeder deutsche Arbeitnehmer hat damit bereits 20.400 € = einen VW Golf gratis jedem Bewohner in Südeuropa geschenkt [2].
Da die Krisenstaaten bislang weniger durch Innovationen, hochwertige Produkte und überdurchschnittlich produktive Unternehmen und Arbeitnehmer aufgefallen sind, muß das von der EZB erhobene Vermögensgefälle eine Folge der Politik der letzten 13 Jahre sein. Daher geht es in diesem Artikel darum, inwiefern bereits ein Ressourcentransfer vom „reichen“ Norden in den „armen“ Süden der Währungsunion stattgefunden hat, der die privaten Vermögensrelationen quasi auf den Kopf gestellt hat.
Einige Fakten
Wir berufen uns auf die jüngste Erhebung der Europäischen Zentralbank. Der Durchschnittsspanier- und –italiener hat nach Abzug seiner Schulden mit einem Nettovermögen von 174.000 € bzw. 183.000 € mehr als das dreifache Vermögen als der Median–Deutsche. Dieses ist, wie schon gesagt, der Deutsche, der genau in der Mitte stehen würde, würde man alle Bürger von arm nach reich sortiert in eine Reihe stellen. Sogar der Median-Grieche stellt sich mit 102.000 € doppelt so gut wie der Median-Deutsche.
Nettovermögen des Medianhaushaltes. Deutschland = 100 (entspricht 51.400 €) | ||||||
Eurozone | DE | GR | ES | FR | IT | CY |
212,5 | 100 | 198,2 | 355,4 | 225,3 | 337,5 | 519,3 |
Überträgt man gängige relative Armutsdefinitionen für Individuen auf die Gesamtbevölkerung und ersetzt man den Begriff Einkommen durch Vermögen, dann sind die Deutschen arm, da sie weniger als 50% des Vermögens des Eurozonen-Bürgers haben.
Allerdings: Die Daten stammen größtenteils aus vor 2011; demnach können fallende Häuserpreise in Süd- und steigende Immobilienpreise in Deutschland die Schere mittlerweile etwas geschlossen haben.
Betrachtet man die ärmsten 20% der Bevölkerung, dann sehen die Nettovermögen wie folgt aus; diesmal in Tausend Euro pro Haushalt:
Ärmste 20% der Bevölkerung, Vermögen in 1000 € | ||||||
Eurozone | DE | GR | ES | FR | IT | CY |
-2,8 | -4,6 | 2,3 | 9,2 | -0,9 | 5,5 | 8,7 |
Damit stellen sich die ärmsten 20% der deutschen Haushalte besonders schlecht gegenüber den Krisenländern. Das Minuszeichen bedeutet: der Median-Deutsche in dieser Gruppe hat 4.600 € Nettoschulden.
Immerhin: die reichsten 10% der Deutschen können zumindest mit den 10% reichsten Franzosen mithalten, liegen aber hinter Spaniern und Italienern.
Reichste 10% der Bevölkerung, Vermögen in 1000 € | ||||||
Eurozone | DE | GR | ES | FR | IT | CY |
1163,3 | 1157,2 | 574,3 | 1267,4 | 1166,4 | 1235,5 | 4159,1 |
Wie wurden Griechen & Co. So reich? Und wie der Durchschnittsdeutsche relativ arm?
Auf der Ebene der Leistungsbilanz ist dies ganz eindeutig, da der Süden in den vergangenen Jahren viel mehr aus dem Norden importiert hat als dorthin exportiert, mithin kam es zu Leistungsbilanzdefiziten. Damit hatten die Bürger des Südens mehr Güter und Dienstleistungen für ihren Konsum zur Verfügung als es ihrer Leistungskraft entsprochen hätte, und die Bürger des Nordens gaben Teile ihrer Produktion an den Süden ab, hatten also weniger Konsumgüter zur Verfügung. Nur leider – mit dem Bezahlen dieser Importgüter klappte es nicht so. Daher wurden Rettungsmaßnahmen nötig.
1. Ressourcentransfer über die Rettungsschirme: 295 Mrd. € – dies entspricht ungefähr den gesamten Exportüberschüssen Deutschland Richtung Krisenstaaten seit Einführung des Euro!!
Exportüberschüsse sollten nicht verschenkt werden; ihnen stehen Kredit-Forderungen gegenüber, die der Süden eigentlich zu begleichen hätte. Dazu kam und kommt es aber nicht im Rahmen der Schuldenkrise. Mit den Rettungsschirmen bezahlen die Nord-Steuerzahler letztendlich ihre eigenen Güter, die andere verkonsumieren. Der deutsche Steuerzahler hat schon gezahlt oder bürgt für 295 Mrd. € auf diesem Wege [3].
In den vergangenen Jahren betrug der deutsche Exportüberschuß in die Krisenländer im Jahresdurchschnitt 25 Mrd. € [4]. Leider ist der Verfasser dieses Artikels noch nicht dazu gekommen, die Werte bis zum Jahr 2000 zu ermitteln und zu berechnen. Ganz grob kann man aber sagen, dass die Deutschen die Exportüberschüsse nach Südeuropa aus rund 12 Jahren Währungsunion (rechnerisch) postwendend begleichen. Der Exportweltmeister hat seit Beginn der Währungsunion seine Exportüberschüsse in den Süden praktisch verschenkt. Eine gigantische Umverteilung!
2. Ressourcentransfer über die Druckerpresse: 512 Mrd. €
Aber nicht nur der deutsche Steuerzahler begleicht die Rechnung, die Story geht noch weiter, wenn man bedenkt, dass der Süden Geld – und zwar die gemeinsame Währung Euro – drucken und sich dafür „echt“ Güter und Dienstleistungen in Deutschland kaufen kann. Das wird möglich über das Verrechnungssystem Target, in dem grenzüberschreitende Zahlungen im Euroraum abgewickelt werden. Im Rahmen des Target-Systems bleibt die Deutsche Bundesbank, am Ende einer Kette von Zahlungsvorgängen, als Gläubiger von Zentralbankgeld stehen, während die Süd-Zentralbanken bzw. die EZB Schuldner sind. Diese Forderungen sind niedrig verzinslich, werden nicht fällig, und dürften bei einem Auseinanderdriften der Währungsunion wertlos verfallen. Aufgrund der letztverfügbaren Targetzahlen schätzt der Verfasser dieses Blogeintrags diese Ressourcentransfer aktuell auf rund 1 Billion DM [5]. Der Vollständigkeit halber sei gesagt, dass die Target-Salden manchmal von Monat zu Monat stark schwanken, und dass es einen wissenschaftlichen Disput über ihre Interpretation gibt. Per heute findet der Verfasser dieses Blogbeitrags die Auffassung von Hans-Werner Sinn am plausibelsten, wonach die Target-Salden einen Transfer realer Ressourcen darstellen.
3. EU-Beihilfen: Geschätzte 48 Mrd. €
Schon vor Krisenausbruch, seit dem Jahr 2000, hat der deutsche Steuerzahler rund 10 Mrd. € jährlich über diverse EU-Fonds netto an die europäischen Nachbarn gezahlt. Da hiermit auch Beitrittsländer wie Polen und Ungarn finanziert wurden, sind nicht die gesamten ca. 120 Mrd. € an die Krisenländer geflossen. Sagen wir – weiteres Research ist nötig an dieser Stelle – es waren geschätzte 40%, dann ergibt das die immense Summe von 48 Mrd. €
4. Nicht-quantifizierbare Ressourcentransfers
Daneben ist es nationalen Notenbanken erlaubt, im Rahmen der ELA (= Emergency Liquidity Assistance) illiquiden und/oder insolventen Banken per Druckerpresse Guthaben zur kurzfristigen Stabliliserierung zu geben. Sofern die Banken damit „echte“ Schulden begleichen, fließt Wirtschaftseinheiten in Griechenland, Spanien oder Zypern Kaufkraft zu, die sie – ohne etwas zuvor geleistet zu haben – in deutsche Luxusautos umwandeln können. Außerdem gab es Anleihekäufe der EZB i.H.v. 55 Mrd. €. Es ist m.E. unzulässig, sie in dieser Höhe als Transfer von Deutschland nach Südeuropa einschließlich Irland zu betrachten, deshalb lassen wir diese Summe außen vor.
5. Fazit: Nettoabfluß von Ressourcen rund 855 Mrd. Euro
Bei einer Bevölkerungszahl der Krisenländer von 134 Mio. hat jeder Einwohner der Krisenländer bereits 6380 € an Transfers aus Deutschland erhalten, das entspricht fast dem billigsten Dacia.
Und umgekehrt, jeder der rund 42 Mio Erwerbstätigen in Deutschland hat den Krisenländern bereits 20.357 € geschenkt, also einen VW Golf.
Es ist überhaupt kein Wunder, dass bei einem solch einem üppigen Transfer die Vermögenslage in den Südländern deutlich besser ist als in Deutschland.
Dass der Vermögenstransfer weiter gehen soll, das steht außer Frage. Jedenfalls für die meisten politisch Verantwortlichen. Wir werden zu gegebener Zeit darauf eingehen.
Prof. Dr. Reiner Osbild
Professor für Volkswirtschaftslehre
Hochschule Heidelberg
[1] “The Eurosystem Household Finance and Consumption Survey – Methodological Report for the First Wave” (EZB April 2013)
[2] Südeuropaische Krisenländer einschließlich Irland
[3] Ifo- Haftungspegel (13.05.13): http://www.cesifo-group.de/de/ifoHome/policy/Haftungspegel.html
[4] Eigene Berechnungen auf Basis: Deutsche Bundesbank, Zahlungsbilanzstatistik 2013, Statistisches Beiheft 3 zum Monatsbericht, insbes. S. 8ff. Quelle (Zugang 13.05.13) http://www.bundesbank.de/Redaktion/DE/Downloads/Veroeffentlichungen/Statistische_Beihefte_3/2013/2013_01_zahlungsbilanzstatistik.pdf?__blob=publicationFile
[5] Bereits 2011 konstantierte Hans-Werner Sinn, auf Basis der damaligen Zahlen: „Die deutschen Bürger haben Sparbücher und Lebensversicherungspolicen, von denen sie im Alter leben wollen. Sie vermuten, dass dahinter entsprechende Anlagen ihrer Finanzinstitute stehen, die Ansprüche auf Realvermögen oder marktgängige Forderungstitel sind. Im Umfang von 547 Mrd. Euro, oder gut 13 000 Euro pro Erwerbstätigen, handelt es sich aber in Wahrheit nur um Forderungen der Finanzinstitute gegen die Bundesbank, die selbst Forderungen der Bundesbank gegen das EZB-System sind: Forderungen, die die Bundesbank nicht fällig stellen kann, die unterhalb der Inflationsrate verzinst sind und die sich möglicherweise, wie unten noch zu zeigen sein wird, inLuft auflösen, sollte der Euro zerbrechen (Hans-Werner Sinn, Die Target-Kredite der Deutschen Bundesbank, ifo Schnelldienst Sonderausgabe März 2012, S.13).
„Maastricht ist wie Versailles ohne Krieg: Deutschland zahlt!“
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Als Eurokritischer Staatsbürger kämpfe ich schon seit vielen Jahren mit meinen Freunden gegen diese Mißstände. Da ich Kunstmaler bin drücke in meinen Bildern meinen Unmut damit aus. Denn, wie sagt schon der Volksmund, … ein Bild sagt mehr als tausend Worte.