Das vermeintlich so perfekte System der deutschen Einlagensicherung – also der Sicherung der Bankeinlagen von Privaten und Firmenkunden – ist dramatisch unterdotiert. Schätzungsweise wurden bislang nur knapp 3,6 Mrd. Euro eingezahlt. Die Einlagen der Bundesbürger in Höhe von über 1,7 Billionen Euro sind damit gerade einmal zu 0,2% abgesichert. Kein Wunder, dass niemand darüber sprechen will: „Aber er hat ja gar nichts an!“ sagt jetzt endlich ein kleiner Ökonom.
Spirale des Schweigens
Versuchen Sie einmal herauszufinden, wie Ihre Bankguthaben gesichert sind, wie viel im Topf der Einlagensicherung eigentlich drin ist. Sie werden auf eine Mauer des Schweigens stoßen. Ich fragte schließlich die Spitzenverbände von Privat-, Genossenschaftsbanken und Sparkassen an. Die Antworten sahen dann so aus:
„… die Einlagen, die Kunden bei der Sparkassen-Finanzgruppe haben, sind abgesichert – und zwar in unbegrenzter Höhe. Damit geht die Sparkassen-Finanzgruppe weit über die gesetzlich festgeschriebene Mindesthöhe für die Einlagensicherheit von 100.000 Euro hinaus… Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass wir – wie alle anderen Bankengruppen auch – keine Angaben über die Höhe der Sicherungsmittel in den Fonds machen.“ (Quelle: sparkasse.de, Hervorhebung R.O.)
Kein Wunder, dass in der Finanzkrise 2008 Angela Merkel und Peer Steinbrück meinten, vor die Kameras treten zu müssen, um eine Staatsgarantie für die Einlagen auszusprechen.
Heuer ist das Thema Einlagensicherung im Rahmen der „Bankenunion“ aktuell geworden. Überspitzt formuliert wird die Befürchtung geäußert, das (selbstverständlich perfekte!) deutsche System werde sozialisiert, so dass die deutschen Sparer für die Verluste ausländischer Zockerbanken aufkommen müssten.
Die Überlegenheit des deutschen Systems besteht indes nur auf dem Papier. Und jenes ist bekanntlich geduldig. Die Regelwerke sind – typisch deutsch – äußerst kompliziert. Immerhin fand ich beim Bundesverband deutscher Volks-und Raiffeisenbanken Details zur Berechnung des Garantiefonds:
„Die jährlichen Beitragszahlungen der angeschlossenen Institute zum Garantiefonds bemessen sich – grob vereinfachend – nach den Kreditrisiken des Institutes …. Sie betragen grundsätzlich mindestens 0,04 Prozent, maximal 0,2 Prozent dieser Bemessungsgrundlage.“
Die Schätzungen
Die unterschiedlichen Gewichtungen sind eine Wissenschaft für sich. Da einige riskante Positionen übergewichtet, Staatsanleihen hingegen untergewichtet werden – de facto gelten sie als risikolos – habe ich als Approximation die gesamte ausstehende Summe aus Krediten und Wertpapieren als Bemessungsgrundlage genommen: 541 Mrd. Euro im Genossenschaftssektor, rund 14% des Gesamtbankmarktes. Davon 0,04% sind 216 Mio. Euro (Untergrenze) bzw. 0,2% gleich 1,08 Mrd. Euro (Obergrenze). Wenn wir mal annehmen, im Genossenschaft-Sektor befänden sich 500 Millionen Euro Sicherungsmasse, dann dürfte die Summe aller Fonds, also die der Privatbanken, Sparkassen, Landesbanken, aber ohne Bausparkassen, bei bestenfalls 3,6 Mrd. Euro liegen. Damit sind gerade einmal 0,2 % der Einlagen (deren Höhe liegt bei rund 1,7 Billionen Euro) abgedeckt.
Dazu kommen zwar noch abrufbare Mittel im Falle einer Krise, doch über deren Höhe und Durchsetzbarkeit kann ebenfalls nur gemunkelt werden.
Meine Resultate sind optimistischer als die eines bundesweit bekannten Bankenexperten, mit dem ich mich im Vorfeld dieses Blogbeitrags austauschen konnte: er berichtete mir, dass bei den privaten Banken gerüchtehalber eine Mrd. Euro im Topf sei, bei den öffentlich-rechtlichen und den genossenschaftlichen Gruppen eher noch weniger.
Der Prophet Andersen, oder: Dänen lügen nicht
Oben, in der Zusammenfassung, habe ich Christian Andersen‘s Märchen Des Kaisers neue Kleider zitiert. Die folgende Passage passt haargenau auf den Kult um die deutsche Einlagensicherung:
„An jedem Tag kamen viele Fremde an, und eines Tages kamen auch zwei Betrüger, die gaben sich für Weber aus und sagten, daß sie das schönste Zeug, was man sich denken könne, zu weben verstanden. Die Farben und das Muster seien nicht allein ungewöhnlich schön, sondern die Kleider, die von dem Zeuge genäht würden, sollten die wunderbare Eigenschaft besitzen, daß sie für jeden Menschen unsichtbar seien, der nicht für sein Amt tauge oder der unverzeihlich dumm sei.“
Alle Amtsträger bestaunten die unsichtbaren Kleider, da sie Angst hatten, als untauglich oder dumm zu gelten. Derselbe Mechanismus verleitet Laien und Experten, das deutsche Sparer-Schutz-System über den grünen Klee zu loben.
Mit den geschätzten 3,6 Mrd. € kann vielleicht die Pleite eines kleinen – deutschen – Instituts aufgefangen werden. Eine Systemkrise, selbst wenn sie auf Deutschland beschränkt bliebe, kann damit nicht bewältigt werden. Geschweige denn, dass wir im europäischen Maßstab etwas ausrichten könnten.
Merkel und Steinbrück brachten 2008 den Staat als Garant der Einlagen ins Spiel. Da aber Steuerzahler und Sparer in großen Teilen die gleichen Personen sind, wäre eine Staatsgarantie nur ein gewaltiges Umverteilungsprogramm nach dem Motto „linke Tasche rechte Tasche“. Gewinnen würden Personen, die wenig Steuern zahlen, aber hohe Einlagen haben (viele Rentner dürften dazu gehören, dazu Erben, alter Landadel). Hingegen entrichten hart arbeitende junge Menschen, die noch am Beginn oder in der Mitte ihrer Erwerbsbiographie stehen, hohe Steuern und bilden erst nach und nach Ersparnisse. Damit würden sie die Sparer subventionieren. Generell dürfte eine staatliche Einlagensicherung über Steuergelder (oder Staatsschulden, oder gar die Notenpresse) eine Umverteilung von jung zu alt bewirken, die selbst den Generationenvertrag der gesetzlichen Sozialversicherungen in den Schatten stellen würde.
Fazit: Die deutsche Einlagensicherung steht nur auf dem Papier. Die Deutschen können überhaupt nicht sicher sein und überhaupt nicht ruhig schlafen, denn das Geld reicht im Ernstfall hinten und vorne nicht. Wenn das wenige auch noch nach Südeuropa umverteilt wird – Stichwort „Bankenunion“ – dann gute Nacht.