Was die Medien gerne als „Zerstrittenheit“ bei der AfD diagnostizieren, ist ganz einfach eine andere Diskussionskultur. Warum sollte die AfD die Altparteien nachäffen und sich zu Friede-Freude-Eierkuchen-Veranstaltungen treffen? Dann wäre eine neue Partei überflüssig.
Wenn AfD-Leute sich auf den Weg zu einem Parteitag machen, dann ist „Zoff“ vorprogrammiert, weil man frei und ohne Rücksicht auf die Parteispitze seine Meinung sagen kann. Für Bild, Stern, Spiegel & Co. ist das dann jedes mal ein Weltuntergang. Für deutsche Medien gilt ein Parteitag nur dann als gelungen, wenn die Teilnehmer lammfromm hinter einem Leittier hertrotten und brav alles abnicken. Wenn die Meinungen vorgefiltert und auf eine enge Bandbreite geschrumpft sind. Alles andere sind „Zerwürfnisse“ oder „Chaos“. Die Medien werden sich daran gewöhnen müssen, dass die AfD-Basis des Denkens fähig ist und sich durch nichts und niemanden einen Maulkorb umhängen lässt. Basisdemokratie eben. War ein solches Selbstverständnis nicht mal angesagt bei linksgrünen Journalisten?
Bernd Lucke hat sich jedenfalls schon daran gewöhnt. Er weiß, dass er nichts gegen den Willen der Basis durchbekommt. Die Basis liebt ihn, aber sie liebt ihn in der Rolle eines Parteisprechers und nicht in der Rolle eines allmächtigen Parteiführers. Bernd Lucke ist ihr Repräsentant, Ideengeber und Berater, aber nicht ihr Parteikönig. Kadavergehorsam kann er nicht erwarten. Es gibt keinen Kauder, der die Leute auf Linie bringt und keinen Pofalla, der sie beschimpft, wenn sie ausscheren. Basisdemokratie eben.
Lucke wollte eine neue Bundessatzung – eine, die ihm das aufreibende Leben als Parteisprecher erleichtert. Gestern musste er lernen, dass es kein einfaches Leben für einen Parteichef der AfD geben wird. Während die Medien sich heiß schrieben über eine vermeintliche Entmachtung der Parteibasis, hatte diese bereits im Vorfeld ihren Einfluss geltend gemacht. Luckes Satzungsentwurf stand schon gar nicht mehr zur Diskussion, sondern ein ausgehandelter Kompromiss. Dieser war aber zu spät zustande gekommen, so dass sich die Mitglieder hiermit erst gar nicht befassten. „Gut Ding braucht Weile“ lautete die Devise, die Abstimmung über eine neue Satzung wurde auf den Herbst vertagt. Gut möglich, dass es nach den guten Erfahrungen mit der Mitgliederabstimmung auch bezüglich der Satzung noch breitere Mitwirkungsmöglichkeiten geben wird.
Ausgenommen von dieser Verschiebung ist allerdings die Schiedsordnung, da der ehemalige Vorsitzende des Bundesschiedsgerichts klar machte, dass er wegen chronischer Überlastung des Schiedsgerichts dringenden Handlungsbedarf sieht. Er habe sich zwischen seiner Ehefrau und dem Schiedsgericht entscheiden müssen. Circa 100 Anträge sollen alleine auf Bundesebene in der Warteschleife liegen.
Bernd Lucke lernte, dass seine Parteifreunde nicht nur kritisch sind, was ihre Satzung betrifft, sondern dass sie trotz seines Alleingangs bei der Satzung nicht nachtragend sind. Er erntete viel Applaus für seine Rede. Seine Vorschläge bei der Aussprache zum Europaprogramm wurden meist von den Mitgliedern angenommen.
Nach dem vermeintlichen „Chaos“ bei der Aufstellung der Tagesordnung schalteten die Mitglieder nämlich sofort auf Arbeitsmodus um und brachten die notwendige Konzentration auf, um sehr effektiv die Anträge zur Änderung des Programmentwurfs für die Europawahl abzuarbeiten. Jeder Antrag fand ausreichend Gehör. Bei den meisten Sachfragen herrschte große Einigkeit. Die einzigen Punkte, wo eine Debatte eröffnet werden musste, waren die Bereiche Energie und Krim-Krise. Zur Krim-Krise bildete sich eine Arbeitsgruppe, die die Verabschiedung einer Resolution vorbereiten wird. Bei der Frage, was wichtiger ist – territoriale Integrität oder Selbstbestimmung der Völker – tendiert die AfD dazu, das Selbstbestimmungsrecht der Völker höher anzusiedeln. Alexander Gauland (Foto unten) hielt eine interessante Rede zur Krim-Krise, deren Hauptaugenmerk auf der Verhinderung eines neuen Kalten Krieges liegt (siehe auch FAZ).
In Fragen der Energiewende verhält es sich so, dass die Experten im Bundesfachausschuss sehr wissenschaftlich orientiert sind und zum Beispiel die Theorie des Klimawandels kritisch hinterfragen und sie für nicht hinreichend belegt halten, während das Vorkommen vom Warmphasen ohne Zutun des Menschen in der Erdgeschichte sehr wohl belegt sei. Sie raten daher dazu, sich von der vorherrschenden CO2-Hysterie abzukoppeln und rein nach wirtschaftlichen und technischen Gesichtspunkten zu entscheiden. Ihre Sichtweise geht weiter als das, was jetzt im Europa-Programm steht und wird sicherlich noch einige Zeit in der Partei diskutiert werden. Für das Europaprogramm entschieden sich die Mitglieder erst einmal für den etwas milderen Entwurf.
Geändert wurde der Europa-Entwurf allerdings an anderen Stellen. Prof. Starbatty plädierte dafür, einen Passus über den Modus zur Wahl des EU-Kommissions-Präsidenten ganz fallen zu lassen, da hier nur die Wahl zwischen Teufel und Beelzebub besteht (Juncker / Schulz) und dies den Zentralismus der EU weiter befördere. Sein Vorschlag wurde angenommen.
Gestrichen wurde auch ein Passus über Auslandseinsätze der Bundeswehr, da die Bundeswehr – unabhängig von politischen Fragen – gar nicht ausreichend für Auslandseinsätze ausgestattet ist.
Was das Transatlantische Freihandelsabkommen (TTIP) betrifft, so standen hierzu zwei verschiedene Entwürfe zur Auswahl. Beatrix von Storch und Marc Jongen plädierten jedoch dafür, das Freihandelsabkommen als Ganzes abzulehnen, da es hauptsächlich negative Effekte für die Europäer hat und nur minimale Vorteile. Sie setzten sich mit ihrer Forderung knapp gegen Bernd Lucke durch, der für ein „faires“ Freihandelsabkommen plädiert hatte. Bei dem Freihandelsabkommen geht es aber weniger um den Abbau von Handelshemmnissen als um die Aushebelung von Verbraucherschutz. Vor allem aber geht es um das Abkassieren der europäischen Steuerzahler durch windige supranationale Wirtschaftskanzleien und Konzerne nach dem Motto „Chlorhühnchen fressen oder zahlen“.
Gestrichen wurde auch ein Passus in der Rubrik Asylpolitik, der neben einer Selbstanklage lauter Selbstverständlichkeiten enthielt.
Im Bereich Landwirtschaft wurde ein Passus zum Verbot des Anbaus von Energiepflanzen gestrichen, da wir uns nicht im Kolchosen-Zeitalter befinden, sondern Landwirte selbst entscheiden, was sie auf ihrem Grund und Boden anbauen.
Eine etwas längere Diskussion gab es zum Thema Türkei, weil mehrere Anträge zur Programmänderung gestellt wurden. Sie fanden jedoch keine Mehrheit. Die Anträge reichten von „Aufnahme der Türkei in die EU nicht ausschließen“ über „das Wort Türkei aus dem Programm streichen“, um türkische Mitbürger nicht zu verprellen bis hin zu einer Aufkündigung des Assoziationsabkommens, der priviligierten Partnerschaft und des Sozialabkommens. Letzeres wurde abgelehnt, da die AfD für die Einhaltung völkerrechtlicher Verträge steht und die engen Wirtschaftsbeziehungen mit der Türkei nicht gefährden möchte. Die Türkei sei darüber hinaus ein zuverlässiger Nato-Partner – so jedenfalls Bernd Luckes Argumente in dieser Sache.
Die zusätzlich ins Programm aufgenommene Forderung nach Abschaffung der Sommerzeit fand breite Zustimmung. Der erste Teil des Parteitags wurde mit dem Singen der Nationalhymne abgeschlossen und ging in einen „Thüringer Abend“ über. Jedenfalls für die Mitglieder, die nicht an der Krim-Resolution arbeiten.
Weitere Themen am Sonntag: Leitlinien der Partei, Schiedsgerichtsbarkeit, Parteifinanzen, Nachwahl zum Bundesvorstand.
Die Leitlinien werden redaktionell überarbeitet und zur elektronischen Abstimmung gestellt, wie dies bereits beim Europawahlprogramm der Fall war.
Am Sonntag wählten die Mitglieder vier neue Schiedsrichter, so dass das Bundesschiedsgericht nun aus fünf Personen besteht. Gearbeitet wird nach einer neuen Schiedsordnung, die der ehemalige Vorsitzende des Bundesschiedsgerichts, Herr von Eichborn, erstellt hat.
Bei den Parteifinanzen herrschte eine rege Diskussion, die auch Vorwürfe gegen Schatzmeister Norbert Stenzel beinhaltete. Herr Stenzel legte sein Amt auf der Versammlung nieder. Die Geschäftsführung erteilte Auskunft über die Einnahmen der Partei und sagte zu, den Europawahlkampf mit 1 Mio Euro zu unterstützen. Die Bundesländer, in denen Landtagswahlen stattfinden, erhalten jeweils 150.000 Euro für den Wahlkampf. Zum neuen Bundesschatzmeister wurde Piet Leidreiter aus Bremen gewählt. Der Bundesrechnungsprüfer forderte ein dauerhaftes Recht auf Einsicht in den Parteimanager, was ihm durch die Mitgliederabstimmung zugestanden wurde.
Roland Klaus hat sein Beisitzeramt im Bundesvorstand zur Verfügung gestellt, weil er berufliche Nachteile als Wirtschaftsjournalist in Kauf nehmen musste. Frauke Petry bestätigte, dass es anderen Mitgliedern ähnlich ergangen sei.
Neben dem neuen Schatzmeister Piet Leidreiter kamen neu in den Bundesvorstand: Prof. Hans-Olaf Henkel als stellvertretender Sprecher und die vier neuen Beisitzer Verena Brüdigam (aus Bayern), Prof. Ursula Braun-Moser (aus Hessen), Gustav Greve (aus Berlin) und Marcus Pretzell (aus NRW).
Ein großes Lob an die Versammlungsleiter Herr Kölmel, Herr Ullrich und Frau Petry! Während die beiden Herren am Ende etwas erschöpft wirkten, sah Frauke Petry noch am Sonntag Abend wie das blühende Leben aus. Tolle Partei, tolle Leute! Die AfD kann stolz sein auf das, was sie bisher erreicht hat.
Unterirdischer Medienkommentar: Hajo Funke bei tagesschau.de
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