Hans-Olaf Henkel, der Grandseigneur der deutschen Industrie, möchte für die AfD in das Europaparlament einziehen. Der ehemalige IBM-Manager, langjährige BDI-Präsident, Bankenberater, der ebenfalls Mitglied in zahlreichen Aufsichtsräten war, hat eine Vita vorzuweisen, wie es in Deutschland kaum eine zweite gibt. Er ist einem breiten Publikum durch seine zahlreichen Talkshow-Auftritte bekannt, und als streitbarer Geist insbesondere in wirtschaftsliberalen Kreisen hochverehrt.
Ohne Frage ist sein Parteibeitritt sowohl medial wie auch in Bezug auf wirtschaftsliberale Wählerkreise der größte Coup der AfD seit der Bundestagswahl. Auch ist Henkel durchaus als streitbar bekannt, wahrlich ein Vorzug, in einer Partei, die den „Mut zur Wahrheit“ zur Parteiräson erhoben hat, ihn aber aufgrund innerparteilicher Querelen – und manches Mal wohl auch aus Angst vor der eigenen Courage – zuletzt oft vermissen ließ. Als Kandidat hinter Lucke scheint er gesetzt, die Parteispitze lässt daran kaum einen Zweifel.
Macht man sich einmal die Mühe, die veröffentlichten politischen Positionen von Hans Olaf Henkel aus den vergangenen Jahren auf ihre AfD-Kompatibilität zu überprüfen, so fallen insbesondere zwei bemerkenswerte Aussagen ins Auge:
- Noch Ende 2011, bereits nach der Wiederwahl von Erdogan als türkischem Ministerpräsidenten, vertrat Henkel die Meinung, dass die Türkei in die EU aufgenommen werden solle.
- 2008 forderte Henkel die Einführung des Mehrheitswahlrechts in Deutschland nach dem britischen Vorbild.
Beides ist mit der allgemeinen Parteimeinung nur schwerlich in Einklang zu bringen. Die Aufnahme der Türkei in die EU war schon 2011 kaum anders zu beurteilen als heute. Dazwischen liegen zwar die Proteste rund um den Gezi-Park, aber politisch hatte Erdogan die Weichen für die heutige Türkei bereits gestellt. Seine radikal-islamischen und national-türkischen Vorstellungen hatte Erdogan gerade auch in Deutschland in aller Deutlichkeit vor seinen hier lebenden Landsleuten formuliert. Vielen von uns ist der Anblick der Kopftuch geschmückten türkischen Präsidentenehefrau beim Staatsbesuch in Deutschland noch in plastischer Erinnerung. Die heutigen Entwicklungen waren auch damals für jeden politisch interessierten Beobachter leicht zu erkennen. Die Einführung des Mehrheitswahlrechts widerspricht zwar nicht ausdrücklich den AfD-Positionen, aber lässt sie sich mit der Forderung nach mehr direkter Demokratie in Einklang bringen? In beiden Fällen widerspricht die Henkelsche Position Kernforderungen der AfD.
Abweichende Meinungen, selbst in Kernforderungen der Partei, mag mancher einwenden, gehören zum demokratischen Spiel dazu, sie sind geradezu Kennzeichen einer die Demokratie lebenden Partei. Henkel aber möchte als frisches Parteimitglied einen Spitzenplatz unmittelbar hinter Lucke besetzen, wie er selbst mehrfach in der Presse verlautbaren ließ. Folglich wird er das programmatische Profil der Partei im Wahlkampf maßgeblich mit prägen. Womöglich wird das so manchem unserer alternativen Wahlkämpfer noch schlaflose Nächte bereiten.
Als außenstehender Beobachter gestehe ich mir an dieser Stelle ein paar taktische Überlegungen zu, ohne dabei in den Ruch des Opportunisten geraten zu wollen:
Die AfD bietet mit Professor Bernd Lucke und Professor Joachim Starbatty bereits zwei profilierte Wirtschaftsexperten auf, die sowohl im Wirtschaftsflügel der CDU wie auch unter den wirtschaftsliberalen FDP-Anhängern erheblich wildern werden; einer Klientel in welcher auch Henkel die größten Zustimmungswerte erfahren dürfte.
Die Europawahl weist gegenüber allen anderen Wahlen eine beachtenswerte Besonderheit auf: Ein Großteil der Wähler betrachtet die Wahl – anders als auf Bundes- oder Landesebene – nicht als strategisch wichtig und neigt zu Experimenten in Form einer Protestwahl. Im aktuellen Fall ist dabei sowohl Protest gegen die große Koalition auf Bundesebene wie auch gegen den Verwaltungsmoloch EU denkbar. Die Protestwähler waren es, die die AfD schon bei der Bundestagswahl fast über die 5-%-Hürde gehoben hätten, ihr Einfluss könnte bei der Europawahl noch einmal steigen. Schon einmal aber beging die AfD den Fehler, diese Klientel leichtfertig zu vernachlässigen. Es kostete letztlich den Bundestagseinzug. In Kürze werden wir wissen, ob die AfD dazugelernt hat.
Bekanntlich rekrutieren sich Protestwähler zu einem überdurchschnittlichen Anteil aus mittleren und unteren sozialen Milieus. Wie ist Hans-Olaf Henkel dort angesehen? Erkennt man hier seine großartige Lebensleistung und wirtschaftliche Kompetenz an? Wohl kaum – hier haftet ihm eher der Widerhall des Neoliberalismus an. Henkel ist dort kein Aushängeschild, sondern Synonym für das nächste Minus auf der monatlichen Gehaltsabrechnung. Während in ganz Europa der Protest gegen die entdemokratisierte EU Fahrt aufnimmt, während selbst in Großbritannien eine UKIP zur stärksten Kraft bei der Europawahl zu avancieren scheint, wird Henkel die AfD in ihrem ohnehin seriösen Auftritt zwar weiter stützen. Er wird mithelfen, die Partei zu einem legitimen Erben der FDP auszugestalten – mit all der damit verbundenen Ausschließlichkeit. Das eigentliche Potential der Partei wird die AfD mit ihm aber nicht ausreizen können. Nötig wäre ein couragierter Wahlkampf mit deutlicher Abgrenzung
– gegen die bürokratische und bevormundende EU,
– gegen die undemokratischen Verhältnisse in allen ihren Institutionen, und
– für die Subsidiarität.
Deutliche Zeichen erfordern auch die seltsamen Blüten, die die Freizügigkeit innerhalb der EU an einigen Stellen zu treiben scheint: Wären die Kopenhagener Kriterien auf Rumänien und Bulgarien korrekt angewendet worden, wären diese Staaten nicht in den Genuss der Freizügigkeit gekommen. Wie sähe es dann erst in Hinblick auf die Türkei aus? Der Mut diese und andere legitime Positionen nicht nur in einem Programm einzunehmen, sondern auch mit deutlichen Worten zu benennen und zwar ohne Angst vor Populismus-Vorwürfen, könnten der AfD als einziger EU-skeptischer Partei enormen Zulauf bescheren. 10% wären dann auch in Deutschland denkbar. Aber dafür muss die AfD den Wählern auch echte Gründe liefern. Mit einer Spitzenposition für Hans-Olaf Henkel könnte die AfD wohl ihre letzte Chance auf einen solchen Wahlkampf aufs Spiel setzen und damit vielleicht sogar ihre verdiente Chance auf den Einzug ins Europaparlament.
Gestern war auf der Facebook-Hauptseite der AfD ein Text von Henkels Facebook-Seite verlinkt, in dem er schreibt, dass er seine Meinung bezüglich der Türkei geändert hat.
https://www.facebook.com/pages/Hans-Olaf-Henkel/117371551693007?fref=ts&filter=2
Das stärkste Pfund, das Hans-Olaf Henkel in die Bestrebungen der AFD einbringen wird, ist seine von keiner Seite bezweifelte Reputation und Souveränität, auch seine eigenen politischen Ansichten ausschließlich unter das Gebot der Vernunft zum Nutzen der Gesamtgesellschaft zu stellen – auch dann, wenn dies früher beruflich vertretenen Positionen hier und da widersprechen mag.
Dieser Vorsprung unterscheidet Hans-Olaf Henkel wohltuend von den meisten anderen Protagonisten auf politischer Bühne, da er in längst absolut unabhängiger Position nicht Gefahr läuft, als Selbstdarsteller oder Schulmeister gebrandmarkt zu werden.
Ganz gleich bei welcher künftigen politischen Frage Deutschlands oder Europas – Hans-Olaf Henkel wird sich an Vernunft, Machbarkeit und Durchsetzungsfähigkeit bürgerlicher Grundwerte orientieren, und genau dies sind die elementaren Grundforderungen der AFD.