Prof. François Heisbourg (Politologe beim International Institute for Strategic Studies (IISS) und beim Geneva Centre for Security Policy) fordert die Auflösung des Euro und die Rückkehr zu nationalen Währungen:
Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass die beschlossenen Maßnahmen zur Rettung des Euro am Ende zur Zerstörung der EU führen werden.
Der Euro ist ein mutiges Experiment, das gescheitert ist. Die gemeinsame Währung sollte für Einheit, Stabilität und Wachstum in einer immer engeren Union sorgen. Stattdessen ist die EU tief gespalten – wirtschaftlich, sozial und politisch.
Das europäische Projekt hat aufgehört, eine breit angelegte, kollektive Unternehmung zu sein, es ist nur noch auf eine einzige Dimension reduziert: den Euro zu retten. Die Wähler sind sauer – entweder als Folge der endlosen Austeritätsprogramme und beängstigend hohen Arbeitslosigkeit oder weil die Bürger in den Geberländern fürchten, dass ihnen auf undurchsichtige Weise die Verbindlichkeiten der Schuldenstaaten übertragen werden.
Arbeitsplatzverluste und Arbeitslosigkeit, besonders die bei Jugendlichen, bedeuten, dass wir heute von einer verlorenen Generation sprechen müssen.
In Spanien, einem Land, das – anders als Frankreich oder Deutschland – vor der Krise die Maastricht-Kriterien eingehalten hatte, machen Arbeitslose ein Viertel der potenziell erwerbstätigen Bevölkerung aus – ohne dass es einen Schwarzmarkt gäbe, der den Schock abfedern könnte.
Als es den Euro noch nicht gab, machten es die nationalen Abwertungen oder Anpassungen mit den entsprechenden Folgen für die Zinsen viel weniger schmerzhaft, mit der Tatsache umzugehen, dass die einzelnen EU-Länder verschiedene wirtschaftliche Charakteristika haben, ohne damit eine existenzielle Gefahr für den europäischen Integrationsprozess heraufzubeschwören.
Das Beispiel großer Wirtschaftsnationen, die nicht in der Euro-Zone sind, wie Großbritannien, Polen oder Schweden, zeigt, dass eine solche Situation durchaus vereinbar ist mit einem gut strukturierten, gemeinsamen Markt. Ein geordnetes Aufbrechen des Euro würde darauf zielen, eine Situation wiederherzustellen ähnlich der, die diese drei Länder außerhalb der Euro-Zone genießen.
Ich behaupte nicht, dass die Auflösung des Euro eine großartige Idee ist. Sie ist, um Churchills Definition der Demokratie zu paraphrasieren, die schlechteste Lösung – ausgenommen alle anderen. Alternativen sind entweder nicht zu haben oder absolut katastrophal.
Die Alternative wäre eine katastrophal Implosion des Euro. Während der Jahre 2010 bis 2012 wäre es fast schon dazu gekommen. Im Sommer 2012 hat Mario Draghi mit seiner Drohung von „Outright Monetary Transactions“ (einem Aufkaufprogramm von Staatsanleihen) das finanzielle Pendant zur nuklearen Abschreckung erfunden. Das hat den Euro für eine Weile gerettet.
Drei Stufen zur Auflösung
Gerade weil uns die EZB Zeit erkauft hat, sollten wir ernsthaft eine geordnete Auflösung des Euro erwägen, in einer ehrlichen und offenen akademischen wie demokratischen Debatte. Mein Vorschlag ist dreistufig, aber es mag andere und bessere geben.
Am Anfang stünde die Ersetzung des Euro durch die nationalen Währungen auf Initiative von mindestens Frankreich und Deutschland, denn kein Land – und schon gar nicht Deutschland – wird alleine die politische Verantwortung schultern wollen für einen so unerfreulichen Schritt wie die Anerkennung des Scheiterns unseres Euro-Projektes.
Als Zweites, nach einer Periode der Kapitalkontrolle, während derer mithilfe der Zentralbank neue Umrechnungskurse ermittelt würden, könnte das einstige System des europäischen Wechselkursmechanismus wiedereingeführt werden.
Schließlich – als Versuch, in gewisser Weise politisch das Gesicht zu wahren – würde man den Euro als gemeinsame Verrechnungseinheit beibehalten, was der Rolle des alten Ecu entspräche.
Nichts von dem wäre glorreich. Ein Scheitern zuzugeben ist nie eine schöne Erfahrung. Wie geordnet auch immer eine Auflösung des Euro abgewickelt würde, sie wäre schmerzhaft und gefährlich, und sie sollte nicht ins Auge gefasst werden ohne ein starkes Paket struktureller Anpassungen, besonders für mein eigenes Land.
Dennoch ist mein Vorschlag weniger riskant als eine Rückkehr zu der waghalsigen Politik der Jahre 2010 bis 2012 und weniger traumatisch als die tief verwurzelte Massenarbeitslosigkeit, die in weiten Teilen der Euro-Zone herrscht. Und er bietet die Hoffnung, die Union zu retten und ihr ein Comeback zu ermöglichen.
Quelle: DIE WELT