Ist Kapitalismus schädlich oder gut? Dieser Frage geht die Wirtschaftswoche nach und kommt zu einem ganz anderen Ergebnis als der linksgepolte Zeitgeist.
In den vergangenen drei, vier Jahrzehnten ist die Ordnungspolitik vor die Hunde gegangen – und zwar nicht, weil ihre erklärten Feinde sich an ihr versündigt hätten, sondern ihre falschen Freunde, die Business-Class-Liberalen. Sie haben die funktionale Trennung zwischen Staat und Markt paradoxerweise aufgehoben und beide Sphären unheilvoll miteinander verklammert. Die Ur-Ursache dafür ist die Wachstumsdelle der Industrienationen in den Sechzigerjahren und die Kreditexplosion nach Aufgabe des Bretton-Woods-Systems 1971/1973: Seither verpflichten sich Finanzmärkte, Notenbanken und Staaten wechselseitig, ein Wachstum aufrechtzuerhalten, das mit realwirtschaftlichen Mitteln nicht mehr aufrechtzuerhalten ist. Die Notenbanken erfüllen ihre Aufgabe, indem sie unendlich viel Geld schöpfen. Die Finanzmärkte, indem sie das Kapital nicht mehr um Güter kreisen lassen, sondern nur noch um sich selbst. Und die Staaten, indem sie Notenbanken und Finanzmärkten die Lizenz zur fortwährenden Geldproduktion erteilen, um ihren sozialpolitisch verwöhnten Bevölkerungen die Folgen der Wachstumskrise zu ersparen. Seither ist the business of business nicht mehr nur in autoritativen Staaten, sondern auch in liberalen Demokratien vor allem Politik. Seither ist der Preis des Geldes aus den Fugen, der Wettbewerb verzerrt, der Marktmechanismus gestört. Seither steigt der Wert von börsennotierten Unternehmen nur noch deswegen, weil Politik und Notenbanken die Zinsen manipulieren, längst überfällige Markt-Korrekturen verhindern und die Krise durch fortgesetzte Eingriffe zugleich vertagen und verschärfen.
Wie also lässt sich wirtschaftliche Freiheit wieder gewinnen? Zunächst einmal: durch die radikale Entklammerung von Markt und Staat – und durch die funktionale Stärkung beider Sphären. Es geht einerseits darum, den Staat als recht- und rahmensetzende Gewalt zu rehabilitieren: durch die Revision seines Selbstverständnisses als Deregulierungsagentur zur Förderung einer Finanzoligarchie. Und es geht andererseits darum, den Markt zu rehabilitieren: durch die Revision seines Daseinszwecks als Kreditbroker für klamme Staaten. Nur geschützte freie Märkte, die Risiken bearbeiten statt sie zerstückelt und verbrieft hinter einem Vorhang der Verantwortungslosigkeit zum Verschwinden zu bringen, sind verlässliche Lieferanten von Preisinformationen. Und nur Staaten, die dafür sorgen, dass Märkte unabhängig von geldpolitischen Einflüssen ihre Aufgabe erfüllen können, schlecht wirtschaftende Unternehmen ihrer überfälligen Insolvenz auszuliefern, erhalten sich die Freiheit, die Finanzmärkte vor sich selbst zu schützen.
Der Kapitalismus benötigt keine moralische Anreicherung, sondern rechtliche und institutionelle Absicherung. Wall Street und Bankfurt sind keine Orte der „Tyrannei“, in denen das Gesetz der Gier gilt; sie benötigen nur Vorschriften, die Geldinstituten ein Fünftel Eigenkapital für ihre Kreditgeschäfte abverlangt. Das Geld, das sich ein Bauunternehmer bei der Volksbank leiht, bedarf keiner ethischen Fundierung; es reicht, dass er Maurern eine Beschäftigung bietet und neue Schulen entstehen. Unser Wirtschaftssystem ist nicht „an der Wurzel ungerecht“, sondern eine glänzend geölte Zivilisationsmaschine, die Milliarden Menschen verheißt, ihrer Armut zu entkommen. Religiöser Fanatismus (Afghanistan, Iran), Korruption (in vielen Ländern Afrikas) politische Zentralsteuerung (Peking, Moskau, Singapur…) und Eigentumskonzentration (westliche Staats-Finanzmarkt-Komplexe) sind ungerecht – nicht „die Wirtschaft“, von der schon Max Weber meinte, sie sei die „friedliche Ausübung von Verfügungsgewalt“. Tatsächlich benötigt der Kapitalismus nur wenige ordnungspolitische Prinzipien – Risiko und Haftung gehören zusammen, Kredite haben ihren Preis, Schulden müssen zurückgezahlt werden, Kartelle gehören zerschlagen –, um weitestgehend funktionstüchtig zu sein. → Der ganze Artikel bei der Wirtschaftswoche
Begriffe:
- Kapitalismus und Marktwirtschaft gehören zusammen, meinen aber nicht das selbe.
- Kapitalismus steht für den Schutz des Privateigentums – im Gegensatz zur Enteignung / Verstaatlichung im Kommunismus.
- Marktwirtschaft bedeutet, dass Preise und Mengen frei durch Angebot und Nachfrage zustande kommen und nicht staatlich beeinflusst oder festgelegt werden.
- In einer Planwirtschaft greift der Staat sowohl in Produktionsmengen, als auch in Preise und die Güterverteilung ein.
- Politisch betrachtet stehen sich als Wirtschaftssysteme Liberalismus (mit Privateigentum und freier Marktwirtschaft) und Sozialismus (mit Enteignung und staatlicher Umverteilung) gegenüber.
- Der Liberalismus basiert auf der Annahme, dass Privateigentum und freie Marktwirtschaft zu allgemeinem Wohlstand führen, weil sie leistungsmotivierend wirken und Innovationen erzeugen.
- Sozialisten setzen hingegen zur Volksbeglückung auf Enteignung, Umverteilung und Planwirtschaft und deklarieren dies gerne als „Solidarität“.
- Die Verschuldung der Staaten verändert unser Wirtschaftssystem ganz gewaltig zum Sozialismus, weil die Staaten (und die mit ihnen verkuppelten Banken) die Kosten ihrer Misswirtschaft ständig auf die Allgemeinheit umlegen.
→ Was ist eigentlich Kapitalismus? → Wirtschaftssystem → DDR 2.0 → Enteignung → Umverteilung