Frau Dr. Bell, die Sprecherin der Alternative für Deutschland im Kreisverband Rhein-Sieg, beschäftigt sich im Rahmen des NRW-Arbeitskreises Verbraucherschutz mit dem geplanten Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA. Sie ist Biologin mit Spezialisierung auf Ökosysteme und Bodenschutz und kennt sich aus mit Zulassungsverfahren im Landwirtschafts- und Nahrungsmittelsektor in Deutschland und der EU. Bei ihr schrillten sämtliche Alarmglocken, als Sie auf das geplante Freihandelsabkommen stieß. Statt Freihandel kommen nämlich ganz andere Dinge auf uns zu.
Eurokritiker: Unsere Fernsehnachrichten sagen, das Freihandels-Abkommen mit den USA macht uns reicher. Stimmt das?
Doris Bell: Kommt darauf an, wen Sie mit „uns“ meinen. Die großen US-Unternehmen, welche bisher etliche ihrer Produkte nicht auf den europäischen Markt bringen konnten, weil sie unseren Produktions- oder Sicherheitsanforderungen nicht entsprechen, werden sich freuen.
Eurokritiker: Aha, internationale Konzerne erweitern ihre Märkte. Was springt für die Bürger dabei heraus?
Doris Bell: Die Bürger werden mehrfach geprellt. Die Großkonzerne werden mit Dumpingpreisen den eher klein- und mittelständischen europäischen Markt überschwemmen. Da können viele einheimische Betriebe auf Dauer nicht mithalten. Anschließend können die Monopolisten die Preise erhöhen und die Verbraucher haben das Nachsehen.
Eurokritiker: Gibt es Branchen, die besonders anfällig sind für diesen Verdrängungsmechanismus?
Doris Bell: Mir fällt da sofort die Landwirtschaft ein. In Europa finden Sie in den meisten Regionen – abgesehen vielleicht von den neuen Bundesländern und dem Münsterland – noch überwiegend kleinbäuerliche Betriebe. Diese suchen ihre Existenznischen, z.B. durch den Anbau von Sonderkulturen, alten oder seltenen Sorten und durch die Herstellung regionaler Produktspezialitäten. Dies wird seit einigen Jahren sogar durch die EU mittels der Strukturfonds – „smart specialisation of regions“ – ausdrücklich gefördert. Es ist zu befürchten, dass die geplante Angleichung von Produktionsstandards zu einem Verlust der Produktvielfalt führen wird, weil z.B. ein regionaler Rohmilch-Käse einer kleinen Molkerei nicht den US-Standards hinsichtlich Mikrobiologie genügt. US-Unternehmen können dann klagen, wenn sie meinen, einen wirtschaftlichen Nachteil auf dem europäischen Markt zu haben.
Eurokritiker: Wie kann sich solch ein Klagerecht auswirken?
Doris Bell: Dieses Klagerecht hat enorme Auswirkungen auf die Autonomie der Nationalstaaten. Das Abkommen soll Unternehmen ein Klagerecht gegen Regierungen beziehungsweise Staaten einräumen. Immer dann, wenn sie sich durch die nationalen Gesetze eingeschränkt fühlen, können sie Klage erheben. Damit können sie ihre vermuteten entgangenen Gewinne einklagen.
Eurokritiker: Heißt das etwa, dass Unternehmen stärker werden als Staaten?
Doris Bell: Ja, das geplante Freihandelsabkommen zwischen den USA und der EU schränkt die nationale Gesetzgebungskompetenz unumkehrbar ein. Es ermöglicht multinationalen Konzernen, ihre Interessen gegenüber den Bevölkerungsinteressen mittels Schiedsgerichten durchzusetzen. Das Grundgesetz kann den Schutz der Bürger nicht mehr sicherstellen, weil es dem Abkommen untergeordnet werden soll. So können missliebige Gesetze und Menschenrechte von den Konzernen durch Schiedsgerichtsspruch außer Kraft gesetzt werden. Es sollen hohe Schadensersatzansprüche gegen den Staat durchgesetzt werden können. Deshalb sind Verbraucher- und Bürgerinteressen durch das Abkommen massiv bedroht.
Eurokritiker: Mir leuchtet nicht ein, wie man solch ein Abkommen überhaupt befürworten kann.
Doris Bell: Die Befürworter zählen lauter wunderbare Dinge auf: Liberalisierung, mehr Wettbewerb, Abbau von Investitionshemmnissen, Bürokratieabbau, Wirtschaftswachstum – kurzum alles, wovon man sich wirtschaftliche Vorteile und neue Arbeitsplätze verspricht. Man verspricht der EU und den Mitgliedsstaaten ein bis zu 1 Prozent höheres Brutto-Inlandsprodukt – dann könnten sie wieder mehr Schulden machen. Tatsächlich wird mit TTIP aber ein dem Grundgesetz übergeordnetes Rechtssystem im Verborgenen eingeführt, demokratische Prinzipien werden ausgehebelt. Das gilt natürlich auch für die Verfassungen der anderen Länder.
Eurokritiker: Jetzt wird auch klar, warum geheim verhandelt wird. Wie können sich die Bürger wehren?
Doris Bell: Wir müssen fordern, dass die Verträge und die Vertragsgegenstände sofort offen gelegt werden. Wir brauchen eine öffentliche Debatte darüber, ob es wirklich gut ist für uns Bürger und für unsere heimischen Unternehmen, wenn wir unsere Standards zur Disposition stellen. Im Verhandlungsjargon nennt sich das „harmonisieren“. Das kann alle Branchen betreffen. Alleine schon über den Lebensmittelsektor wird der Bürger tagtäglich mit den Konsequenzen konfrontiert sein.
Eurokritiker: Deutsche Politiker sind nicht gerade dafür bekannt, sich gegen die EU aufzulehnen. Ganz im Gegenteil. Muss man da nicht eher auf die Engländer oder Franzosen hoffen?
Doris Bell: Wir müssen unbedingt auch in Deutschland aktiv werden. Ich setze mich dafür ein, die Verhandlungen auszusetzen. Vielleicht für 8 bis 12 Monate. Man darf nicht vergessen, dass es nach der Wahl des EU-Parlaments auch eine neu zusammengesetzte EU-Kommission geben wird. Dieser müsste ein neues Mandat erteilt werden. Bis dahin könnten wir zunächst eine deutsche Position entwickeln, mit der Deutschland dann an die EU herantritt. Dann erst kann es zurück an den Verhandlungstisch mit den Amerikanern gehen. Ich bin überzeugt, dass es auch in anderen Mitgliedsstaaten Vorbehalte gegen das Abkommen gibt. Am 24. November gab es beispielsweise eine Riesen-Demo in Paris.
Eurokritiker: Prima, hoffentlich greifen die Demonstrationen auch auf andere Länder über. Das wäre doch endlich einmal etwas, wo alle Europäer an einem Strang ziehen könnten.
Doris Bell: Diese Idee werde ich auf unserem Landesparteitag am kommenden Wochenende vorstellen. Mein Ziel ist, dass wir diese Position dann im Januar in unser Parteiprogramm und unser Europa-Wahlprogramm aufnehmen und bis dahin bereits öffentlich – quasi als außerparlamentarische Opposition – protestieren. Zahlreiche Parteimitglieder haben bereits signalisiert, dass sie meinen Antrag unterstützen werden.
Eurokritiker: In der AfD sind ziemlich viele Wirtschaftsfachleute – die haben vielleicht nichts gegen ein „Freies Spiel der Märkte“. Denken Sie, dass die Partei das Thema trotzdem auf ihre Agenda setzen wird? Ist das nicht eher ein Thema für die Grünen?
Doris Bell: Ja, in der AfD sind tatsächlich zahlreiche Wirtschaftsfachleute. Ich habe mir auch schon anhören müssen, dass man nicht wisse, was ich denn eigentlich wolle. Schließlich sei Freihandel doch etwas Positives, denn er fördere den Wettbewerb, und mehr Wettbewerb sei gut für die Verbraucher. Aber sehen Sie: das mit dem Freihandel ist ein Euphemismus – das Abkommen heißt im Englischen „Investitions- und Handelsabkommen“ – hier wird der wahre Nutzen schon klarer. Und bei dem Abkommen, welches die EU gleichzeitig mit Kanada verhandelt – CETA -, offenbart sich der Zweck noch klarer: „Umfassendes Wirtschafts- und Handelsabkommen“. Die Nutznießer sind allein die großen internationalen Konzerne – und vielleicht noch die großen Wirtschaftskanzleien, welche die supranationalen Schiedsgerichtsverfahren durchführen. Davon gibt es weltweit nur 15.
Eurokritiker: Die werden sich ja dann eine goldene Nase verdienen können.
Doris Bell: Solche Schiedsgerichtsverfahren gibt es schon länger, diese Kanzleien haben viel Erfahrung damit. Begonnen hat das als es eine in den 60er und 70er Jahren eine Reihe von Verstaatlichungen in den öl- und rohstoffexportierenden Staaten Afrikas und des mittleren Ostens gab. Die Enteignungen in Libyen und im Iran – nach der Revolution 1979 – haben zu einigen der bekanntesten Auseinandersetzungen zwischen Staaten und ausländischen Investoren geführt. Um zum Beispiel die Tausende Fälle von angeblichen Enteignungen US-amerikanischer Staatsbürger im Iran effizient beizulegen, einigten sich der Iran und die USA 1981 auf die Gründung eines ständigen Schiedsgerichts, das „Iran-US Claims Tribunal“, dem sämtliche Streitigkeiten zur Erledigung übertragen wurden. Die USA wollten also damals die Investitionen von US-Unternehmen im Iran stimulieren und sichern. Um den Unternehmen in unsicheren politischen Zeiten ein gewisses Maß an Sicherheit zu geben, schlossen USA und Iran dieses Investitionsschutzabkommen. Ich denke aber, dass die Lage in Europa doch bitteschön eine ganz andere ist und solche Garantien absolut überflüssig sind.
Eurokritiker: Also wird es höchste Zeit, dass sich Widerstand regt, damit diese Schiedsgerichte nicht über die Hintertür unsere Gesetze aushebeln können.
Doris Bell: Sie fragten eben, ob das Thema nicht eher was für die Grünen ist. Ich denke, es müsste für alle Parteien wichtig sein, die den Schutz der Bürger und den Erhalt unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung ernst nehmen. So langsam erheben sich auch in Deutschland zaghafte kritische Stimmen: Die Freien Wähler in Bayern haben am 12.11. und die Piraten am 19.11. eindeutig Position gegen das Abkommen bezogen. Da die Grünen sich auf ihre Rolle als Koalitionspartner vorbereiten, dürfen wir von denen wohl eher keine klare Ablehnung des Abkommens erwarten.
Eurokritiker: Die Organisation Attac ruft zum Protest gegen das Freihandelsabkommen auf. Die AfD in einem Boot mit Attac – geht das gut?
Doris Bell: Die Alternative für Deutschland ist angetreten, um in diesem Land einiges zu ändern und den Menschen, den Bürgern wieder mehr Gehör zu verschaffen. Wenn eine internationale Bürgerrechts-Bewegung wie Attac hier eine ähnliche Position vertritt, zeigt das doch nur, dass wir ein wichtiges Thema ansprechen, das vielen Menschen am Herzen liegt. Mit der AfD können wir dafür sorgen, dass die Bürgerinteressen bald endlich wieder in den Parlamenten vertreten sind.
Redaktion: Wenn das „Transatlantic Trade and Investment Partnership“ nicht gestoppt wird, welche Probleme haben wir dann in 10 oder 20 Jahren?
Doris Bell: Ich befürchte, dass Sie da keine 10 bis 20 Jahre warten müssen. Das Abkommen dient ja, wie andere Freihandelsverhandlungen auch – NAFTA, TPP, CETA – der globalen Durchsetzung neoliberaler Politik. Es soll genutzt werden, um eine Reihe von Liberalisierungs- und Deregulierungsmaßnahmen durchzusetzen, und uns zum Abbau von Umweltstandards und Arbeitnehmerrechten zu verpflichten. Dass letztlich mit dem Freihandelsabkommen der Wettbewerb nicht gefördert, sondern mittelfristig eingeschränkt werden wird, liegt auf der Hand. Nur die wirklich großen, wirtschaftlich starken international agierenden Unternehmen werden es sich leisten können, ihre Unternehmensinteressen mittels Anwaltskanzleien gegen einzelne Staaten durchzusetzen. Sie werden durch die Ausschaltung kleinerer Wettbewerber eine Monopolstellung in ihren Ziel-Märkten erzwingen können. Sei es nun beim Saatgut, beim Wasser, bei der Energiegewinnung, bei technischen Produkten, bei Medien oder Ähnlichem.
Eurokritiker: Welche Folgen hätte das für die Verbraucher?
Doris Bell: Der Bereich der sogenannten öffentlichen Daseinsvorsorge – Wasser, Bildung, Gesundheit, Energie – könnte in weiten Teilen privatisiert werden, was zu steigenden Preisen von Trinkwasser, Strom etc. bei sinkender Qualität führen würde. Die geforderte Angleichung von Standards würde z.B. im Agrarbereich bedeuten, dass gentechnisch veränderte Lebensmittel massenweise nach Europa importiert und ohne entsprechende Kennzeichnungspflicht dem Verbraucher quasi aufgezwungen würden. Und im Energiesektor könnte die Gewinnung von Schiefergas (mittels Fracking) zu einer großflächigen Gefährdung unserer Grundwasser-Reservoirs führen. Während Frankreich sich übrigens dieses Jahr für ein völliges Verbot von Fracking ausgesprochen hat, wirbt einer der größten Energiekonzerne – Chevron – derzeit in Brüssel, dem Sitz der Europäischen Kommission und des Europaparlaments, in einer riesigen Werbekampagne für Fracking als saubere Technik, die Europa autark machen könne. Sie sehen an diesem Beispiel, wie hier schon Druck auf die Lobbyisten und Entscheidungsträger auf europäischer Ebene ausgeübt wird, um nationale Entscheidungen auszuhebeln.
Redaktion: Vielen Dank, das war sehr informativ. Man darf gespannt sein, wie die Parteikollegen das Thema aufnehmen werden. Viel Glück für den Parteitag!
Der von Frau Bell geleitete Arbeitskreis Verbraucherschutz hat ein breites Themenspektrum und freut sich über neue Mitglieder! Kontakt: verbraucherschutz@nrw-alternativefuer.de oder direkt: doris.bell@nrw-alternativefuer.de
Die Anträge aus dem Arbeitskreis Verbraucherschutz:
Nachtrag: Frau Bell macht darauf aufmerksam, dass die TTIP-Strategen „ihre Kommunikation verbessern“ möchten, damit die EU-Bürger die Kröte leichter schlucken:
There are three main communication challenges: 1. Making sure that the broad public in each of the EU Member States has a general understanding of what TTIP is (i.e. an initiative that aims at delivering growth and jobs) and what it is not (i.e. an effort to undermine regulation and existing levels of protection in areas like health, safety and the environment).
Da scheinen mittlerweile einige Medien aufgewacht zu sein. Über das TTIP und seine Unrechtmäßigkeit wird mittlerweile täglich berichtet, so auch beispielsweise hier:
http://info.kopp-verlag.de/hintergruende/europa/michael-brueckner/ttip-abkommen-mauschelrunde-verordnet-jubelstimmung.html
Die Umweltverbände sollten sich hier eindeutig positionieren denn auf dem Spiel stehen in 30 Jahren erkämpfte Errungenschaften des Umwelt-undVerbraucherschutzes zum Tier-u.Artenschutz, der Lebensmittelsicherheit des Erhalts der Nutzpflanzenvielfalt, der kleinbäuerlichen Strukturen.
Umweltverbände haben leider weltweit einen sehr schlechten Ruf und keinerlei „demokratische“ Legitimation.
Deshalb schlage ich DRINGEND vor,
den sog.“Umweltaspekt“ komplett von dem rechtlich-demokratischen Aspekt zu trennen, der nun wirklich skandalös genug ist, wenn es stimmt, dass irgendwelche nationalen Rechte, gar „Verfassungen“ durch ausländische Privatpersonen bzw. Firmen auch noch im Sinne von Schadensersatzforderungen ausgehebelt werden könnten.
Darauf sollte man sich zunächst konzentrieren.
Es kann nicht sein, dass ein national-rechtlicher Status von irgendwelchen Ausländern durch freiwillige Verhandlungen zu einem Schadensersatzobjekt degradiert wird.
Welches Schenkelklopfen würde eine Deutsche Klage z.B. gegen irgendeine der vielen Microsoft-Schweinereien (Kartellamt lässt grüßen) in USA auslösen?
Natürlich darf unser Bürgerschutzstandard nicht verwässert werden.
Man fragt sich sowie:
Ist der Staat von heute überhaupt noch ausreichend kompetent (sachverständig) und mächtig, den eigenen Endverbraucher (Bürger) angemessen von internationalen „Konzernen“ zu schützen.
Natürlich gehört dazu auch die „Landwirtschaft“ und der Schutz der Gesundheit.
Dr.Bayerl