In deutschen Medien ist die Rede davon, dass die NSA-Spionage das geplante Freihandelsabkommen zwischen EU und USA belasten könnte. Inhaltlich erfährt man in deutschen Medien so gut wie nichts dazu. Die Wiener Zeitung ist da weiter. Aber auch nicht viel, denn es wird geheim verhandelt!
„Ein gewisses Maß an Diskretion ist notwendig, um die Interessen der EU zu schützen und die Chancen auf ein befriedigendes Ergebnis zu wahren“, argumentiert die EU-Kommission die Tatsache, dass die Verhandlungen und Texte über diese nicht der Öffentlichkeit zugänglich sind.
Wieso das denn?
In einem sind sich alle Experten einig: In dem Freihandelsabkommen wird es kaum um Freihandel gehen – zumindest nicht im herkömmlichen Sinn. Zollbarrieren existieren nämlich zwischen der EU und den USA fast nicht mehr. (…) Das große Schlagwort lautet „Regulierungsstandards“. Die sind der Kern der Transatlantischen Handels- und Investment-Partnerschaft (TTIP, vom Englischen Transatlantic Trade and Investment Partnership). Dazu gehören unter anderen Industriestandards, Lebensmittelgesetze, aber auch öffentliche Ausschreibungen. Die sollen auf einen gemeinsamen Nenner gebracht werden.
Soso, „Regulierungsstandards“ sollen „auf einen gemeinsamen Nenner gebracht werden“… Wollen die Amerikaner kurvenlose Gurken, toxische Lichtquellen, Flüster-Staubsauger, EU-Duschköpfe und 6-Liter-Klos?
„Wenn du Hindernisse abbaust und Unternehmen es mit nur einer Vorschrift anstatt mit zweien zu tun haben, dann eröffnet das neue Möglichkeiten“, sagt Dan Ikenson von der US-Denkfabrik Cato Institute.
Hat man jemals eine europäische „Denkfabrik“ darüber stöhnen gehört, der Handel mit den USA sei wahnsinnig kompliziert? So wie wir unsere herzallerliebste EU kennen, werden die „Hindernisse“ wohl eher in Europa zu suchen sein. Kriegen wir dank der Amerikaner bald unsere geliebten altmodischen Glühbirnen zurück?
Welche Fälle das letztlich im Detail sein werden, ist aufgrund der Geheimhaltung nicht bekannt. Die Fülle ist unüberschaubar, betroffen sein kann alles, das einer Regulierung unterliegt: von der Krümmung einer Gurke, über Derivatenhandel bis hin zu Sicherheitsbestimmungen für Chemikalien. „Niemand kann das alles im Auge behalten“, sagt Jacques Pelkmans vom Centre for European Policy Studies (Ceps) in Brüssel. Daher gibt es Arbeitsgruppen. Im Vorfeld der Verhandlungen trafen sich die europäischen Delegierten daher mit einer Reihe von Interessensgruppen.
„Arbeitsgruppen“, „Interessensgruppen“ – damit sind doch nicht etwa die LOBBYGRUPPEN gemeint, die in Brüssel ihr Unwesen treiben…?
Grundsätzlich werden den USA und der EU zwei unterschiedliche Herangehensweisen zugeschrieben. In den USA gehe man davon aus, dass etwas sicher ist, solange nicht das Gegenteil bewiesen sei. In der EU hingegen gilt das Vorsichtsprinzip, wonach zuerst bewiesen werden muss, dass etwas sicher ist, bevor es zugelassen wird. Beispielhaft für diesen Konflikt ist einer der umstrittensten Punkte aus europäischer Sicht: GVO, gentechnisch veränderte Organismen (siehe nebenstehenden Artikel). „Das Thema wird von manchen in Europa mit geradezu religiösem Eifer behandelt“, sagt Pelkmans. Das würde die ganzen Verhandlungen gefährden und sogar die EU-Mitgliedstaaten spalten. Es wäre also weise, diesen Punkt aus den Verhandlungen herauszunehmen, um den Rest der Gespräche nicht zu gefährden. Davon ist nicht nur Pelkmans überzeugt, sondern so gut wie jeder Experte, mit dem man über dieses Thema spricht. Wahrscheinlich wird das Thema auf einen späteren Zeitpunkt verschoben.
Aha, daher weht der Wind: man will Europa in Sachen Genfood sturmreif schießen. Na dann, guten Appetit!
Doch auch ohne GVO bereitet die Landwirtschaft den Verhandlern genügend Kopfzerbrechen. Etwa wenn es um die sogenannten „Chlorhühner“ geht. In den USA ist die Praktik verbreitet, Hühnerbrüste mit Chlor zu desinfizieren, um so die Salmonellengefahr einzudämmen.
Was könnten wir denn an Leckereien exportieren? Rumänische Lasagne vielleicht?
Auch auf amerikanischer Seite gibt es Vorbehalte gegenüber Europa. Etwa wenn es um den Jones Act für den Seehandel geht. Das Gesetz sieht vor, dass der Schiffsverkehr zwischen amerikanischen Häfen grundsätzlich nur von Schiffen besorgt wird, die in den USA hergestellt wurden, US-Staatsangehörigen gehören und von US-Bürgern betrieben werden. Die USA werden jedenfalls versuchen, das Regelwerk beizubehalten, erfuhr die „Wiener Zeitung“ aus US-Verhandlerkreisen.
Die Amerikaner scheinen zu wissen, wie man seine heimische Werftindustrie gegen asiatische Billiganbieter verteidigt. Das würden sich die Europäer niemals trauen!
Weitere Befürchtung: Dass sich Europa Zugang zu den Erdgas-Reserven der USA verschaffen will.
Erdgas aus Amerika? Wohl eher will das energiehungrige Amerika bei uns fracken…
Umgekehrt fürchtet man Europa, dass sich amerikanische Firmen in Europa, zumal Osteuropa, die Rechte für Erdgasressourcen sichern und dort das umstrittene Fracking betreiben.
Bislang wird Fracking von unseren Politikern umschifft. Bei uns gelten bislang scharfe Bestimmungen zum Schutz des Trinkwassers. Landwirte dürfen nicht so viel düngen wie sie wollen und Hausbesitzer müssen ihre Abflussrohre checken lassen. Das wird man kaum länger durchsetzen können, wenn man mit Chemikaliencocktails im Boden herumbohrt. Aber unser Trinkwasser ist auch so in Gefahr:
Attac glaubt, dass die Kommission auch öffentliche Dienstleistungen in die Verhandlungen aufnimmt. US-Unternehmen könnten eine Deregulierung fordern, wo ihnen der ungehinderte Zugang zu den europäischen Märkten fehlt. So fürchten Kritiker, dass über den Umweg TTIP eine zwangweise Liberalisierung und Privatisierung des Wassers erfolgen könnte. Dabei hatte erst kürzlich die erste erfolgreiche EU-Bürgerinitiative bewirkt, dass die Trinkwasserversorgung von der EU-Konzessionsrichtlinie ausgenommen wird.
Nun kommen wir der Sache schon näher: Unsere Bürgerrechte stehen auf dem Spiel und sollen für internationale Großkonzerne verheizt werden. Wann lernt die EU endlich aus all den Globalisierungs- und Liberalisierungsfehlern?
Manche Kritiker in Europa sehen in dem Abkommen die europäische Lebensweise gefährdet. Die USA hätten lediglich zwei von acht Konventionen für arbeitsrechtliche Mindeststandards der Internationalen Arbeitsorganisation ratifiziert, berichtet die globalisierungskritische Organisation Attac. Im Hintergrund könnten somit arbeitsrechtliche Standards in Europa ausgehöhlt werden.
Wo bleiben denn die Gewerkschaften?
Nun kommen wir zum Kern der ganzen Angelegenheit:
Die Europäische Kommission möchte Klagerechte für Investitionssicherheit verhandeln, erklärt Alexandra Strickner von Attac. Diese Klagerechte würden es Investoren ermöglichen, Staaten aufgrund von Sozial-, Gesundheits- oder Umweltschutzgesetzen zu verklagen, die ihre geplanten Gewinne bedrohen. Auf Basis so eines Abkommen hat etwa der schwedische Energiekonzern Vattenfall Deutschland wegen des Atomausstiegs erfolgreich geklagt.
Wer der dumme Michel ist, der bei diesem tollen Programm draufzahlen darf, ist ja dann wohl klar: das Land mit den höchsten Sozial-, Gesundheits- und Umweltstandards. Wenn Deutschland zum Beispiel kein Genfood will und auf unchlorierten Suppenhühnern besteht, kostet das in Zukunft Geld. Wir sollen Strafe zahlen, weil wir keine Chemie essen wollen, bei uns keine Chemikalien in den Boden kommen und die Leute einigermaßen anständig bezahlt werden. Ein tolles Projekt, was die EU da plant! Womöglich können US-Konzerne demnächst unser Land verklagen, weil man hier keine 60-Watt-Glühbirnen verkaufen darf oder 2000-Watt-Staubsauger oder Fertighäuser ohne 30 cm Wärmedämmung. Diese Idee kann nur aus dem Gaga-Laden Brüssel stammen!
„Dies ist das billigste Ankurbelungsprogramm, das man sich vorstellen kann“, lobt EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso das TTIP.
Ja, sehr billig, Herr Barroso. Wie immer eine durchsichtige, billige Masche. Barroso träumt wahrscheinlich von grandiosen BIP-Anhebungen in seinen Südländern, damit seine Schuldenkönige ihre Neuverschuldungen anheben können…
Die generelle Einschätzung von Experten ist, dass das Freihandelsabkommen im allerbesten Fall ein Wachstum in Höhe von einem Prozent des Bruttoinlandsprodukts pro Jahr bringe. Für Kritiker ist diese Zahl überzogen. (…) Die Berechnungen für die weniger ambitionierte Variante kämen auf einen zu vernachlässigbaren Schub in Höhe von jährlich 0,015 Prozent des BNP.
Na großartig. Zeit für Widerstand!
Quelle: Bei Chlorhuhn vergeht Europas Appetit – Wiener Zeitung Online