Prof. Osbilds Kommentar zu einem Beitrag VON Mark Schieritz 25. SEPTEMBER bei der ZEIT
Mark Schieritz schreibt in seinem ZEIT-Blog:
Das musste ja so kommen. In ihrem Global Wealth Report rechnet die Allianz aus, dass die deutschen Haushalte durch die Niedrigzinspolitik 5,8 Milliarden Euro im Jahr verlieren. Die FAZ nahm das erwartungsgemäß zum Anlass, sich über das Los der Sparer in Zeiten niedriger Zinsen zu beklagen: Was Leben ohne Zins auf lange Sicht heißt, werden künftige Rentner im Alter spüren, weil dann jedes verlorene Jahr voll auf die Alterseinkünfte durchschlägt. … Hier liegt der erste Denkfehler derjenigen, die gegen Niedrigzinsen wettern. Denn wenn die Zentralbank – was ihr gesetzlicher Auftrag ist – den Zins so setzt, dass sie ein hohes Wirtschaftswachstum und stabile Preise erreicht, dann steigen die Einkommen und damit auch die Ersparnis.
Hier liegt der erste Denkfehler von H. Schieritz. Denn die Ersparnis hängt laut der klassischen Wirtschaftstheorie, also langfristig, schon vom erzielbaren Zins ab. Keynes hingegen, der kurzzeitige Konjunkturschwankungen im Blick hatte, sah in der kurzen Frist eher eine Abhängigkeit des Sparens vom erzielten Einkommen. Kurze Frist bedeutet aber bei Keynes: die Tiefphase eines Konjunkturzyklus, also 1-2 Jahre. Die Niedrigzinspolitik der großen Zentralbanken dieser Welt setzte hingegen schon seit den 90er Jahren ein, in Japan gar schon 1989, wobei jüngst eine Verschärfung in Richtung Null-Zins-Politik eingetreten ist.
Wer also vorschlägt, die Notenbanken sollten mehr Rücksicht auf die Sparer nehmen, der muss auch dazu stehen, dass das mit Einkommens- und Arbeitsplatzverlusten einhergeht, weil die Notenbank nicht mehr das Zinsniveau wählen kann, das für Vollauslastung der Kapazitäten sorgt. Das Perfide an der Debatte über die vermeintliche finanzielle Repression ist, dass nie das Alternativszenario erwähnt wird.
An dieser Stelle möchte ich auf Japan verweisen. Trotz zwei Jahrzehnten der Extrem-Niedrig- bzw. Nullzins-Politik ist die Arbeitslosigkeit in Japan nicht gesunken. Das Wachstum war schwach, Investitionen lange Jahre ebenfalls.
Doch was ist mit den Sparerträgen? Tatsächlich bedeutet ein niedrigeres Zinsniveau zunächst, dass sich die Ersparnis weniger schnell vermehrt. Aber auch Zinsen wollen verdient sein. Entscheidend für den Wohlstand ist der reale Gegenwert, der hinter ihnen steht. Damit sind wir beim Thema Rente. Ob sich niedrige Zinsen auf das Rentenniveau auswirken, hängt zunächst einmal vom Rentensystem ab. Unmittelbar einsichtig sollte sein, dass in einem Umlagesystem das Zinsniveau keine Rolle spielt, weil die Jungen direkt für die Alten zahlen. Aber auch in einem kapitalgedeckten System ist die Sache etwas komplizierter, weil der Wohlstand im Alter von den zukünftigen Produktionsmöglichkeiten abhängt. Wenn die Notenbank also im vermeintlichen Interesse der Sparer ein Zinsniveau wählt, das so hoch ist, dass es den Aufbau des Kapitalstocks behindert oder die Schuldner in die Pleite treibt – denn jedem Euro Sparvermögen steht ja ein Euro an Schulden gegenüber –, dann sieht es ebenfalls schlecht aus für die Rente. Konkret: Dann werden die schönen Anleihen mit den satten Zinscoupons einfach nicht mehr bedient.
Am Beispiel Japan zeigt sich, dass die keynesianische Theorie denkbar ungeeignet ist für langfristige Wirtschaftspolitik. Denn die Niedrigzinspolitik schafft keine Kapazitäten, sondern vernichtet sie. Klingt paradox? Ist es aber nicht.
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In Japan werden mit dem billigen Geld seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten, eigentlich bankrotte Banken („Zombie-Banken“) und Unternehmen am Leben erhalten. Die Unternehmen verlängern die billigen Kredite immer wieder und verdrängen so bessere, innovativere, effizientere Konkurrenten, die – etwa aufgrund geringerer Größe – keinen Zugang zum billigen Endloskredit haben. Folglich überleben die großen und unproduktivsten Unternehmen – und das macht den Kuchen (langfristig, also auch für die zukünftigen Rentner) KLEINER statt größer. Siehe den Aufsatz von Michael Schubert et al.: Leitzinssenkung auf historischem Allzeittief: Welche Folgen hat die Niedrigzinspolitik der EZB? ifo Schnelldienst 65 (16), 2012, S. 3-19.
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Keynes hoffte noch, dass mit billigem Geld die Investitionen wachsen würden. Er übersah, dass das billige Geld nur bestimmten (staatsnahen) Unternehmen zufließt, dem Staat selbst, oder Großbanken und –unternehmen („too big to fail“). Dagegen lastet auf den kleineren privaten Konkurrenzunternehmen in einer fragilen gesamtwirtschaftlichen Lage das Konkursrisiko, wodurch Risikoaufschläge erhoben werden, die die „Verbilligung“ des Kredits konterkarieren. (Vgl. EZB, Survey on the Access to Finance of Small and Medium-Sized Enterprises in the Euro Area, April 2013)
- Auch für Deutschland gilt: Die Großen verdienen, die Kleinen bluten. „Interessant ist dabei die Entwicklung der Zinssätze. Während sich die lockere Geldpolitik bei den Anleihen der Großunternehmen erheblich bemerkbar gemacht hat, entwickelten sich die Zinsen für mittelständische Unternehmen in die Gegenrichtung. Gewährten Emittenten wie BASF und Siemens 2009 noch einen durchschnittlichen Zinskupon von 5,5 Prozent, so war dieser im vergangenen Jahr nur noch halb so hoch.Dagegen müssen Mittelständler im Durchschnitt tiefer in die Tasche greifen. 2009 erhielten Anleger noch im Durchschnitt 6,175 Prozent, mittlerweile sind es 7,25 Prozent. Im ersten Halbjahr 2013 ging die Schere noch weiter auseinander: Der Kupon für Mittelständler wuchs auf 7,75 Prozent, Großunternehmen zahlen mit 2,375 Prozent noch nicht einmal ein Drittel davon.“ http://www.faz.net/aktuell/finanzen/anleihen-zinsen/mittelstandsanleihen/anleihenmarkt-mittelstaendler-muessen-trotz-zinstief-mehr-zahlen-12593079.html (veröffentlicht und abgerufen am 30.09.2013, Hervorhebung durch profausheidelberg)
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Auch in Europa sieht man erste Probleme. Die Geschäfte und Gewinne, die eine mit billigem Staatsgeld gerettete Commerzbank, Bankia, Alphabank (GR) machen, gehen den (kleineren) Konkurrenten verloren, also in Deutschland etwa den Sparkassen und Genossenschaftsbanken. Im Unternehmenssektor ist die Sache etwas komplizierter. Aber dort gibt es gleichfalls negative Entwicklungen, etwa bei den Pensionsrückstellungen. Diese müssen umso höher ausfallen, je niedriger der Zins ist. Mittlerweile drohen diese Pensionslasten einzelne Unternehmen zu erdrücken, siehe „Dax-Konzerne in der Rentenfalle“, Faz.net vom 22.01.2013. Müßig zu betonen: Solche Konzerne müssen ihre Investitionen zurückschrauben – schlecht für’s Wachstum.
Mit gutem Grund also hat man den Zentralbanken nicht die Maximierung der Sparerträge, sondern die Maximierung der gesamtwirtschaftlichen Wohlfahrt ins Stammbuch geschrieben. Und in einer Währungsunion, in der einer Reihe von Ländern die Deflation droht, während die Teuerungsrate insgesamt deutlich unter dem Zielwert bleibt, sind Zinserhöhungen vielleicht doch keine so gute Idee.
Die Deflation ist Folge einer einheitlichen Zinspolitik in einem uneinheitlichen Währungsraum. Um etwa das kränkelnde Deutschland vor ca. 10 Jahren zu unterstützen, wurden die Zinsen niedrig gehalten, derweil dieselben Zinsen einen inflationären Boom in Südeuropa verursachten. Dieser führte zu exorbitanten Importüberschüssen und damit einer hohen Auslandsverschuldung. Da jetzt keine Wechselkursanpassung zur „externen“ Deflation (also Verbilligung der griechischen, irischen… Exportgüter) zur Verfügung steht, müssen die Krisenländer Löhne und Preise senken, welch schmerzhafter Anpassungsprozeß.
Alles andere ist eine Frage der Verteilung, die nicht Sache der Notenbank ist. Wenn also die Niedrigzinspolitik vorübergehend zu Schieflagen führt, dann muss der Staat intervenieren, zum Beispiel durch Transfers an Kleinsparer.
Genau das Gegenteil geschieht. Den risikoaversen Kleinsparern, die ihr Geld auf der Bank halten, wird durch die Kapitalertragsteuer die Vermögenssubstanz beschnitten. (Besteuert werden minimale nominale Zinserträge, die aber noch unterhalb der Inflationsrate liegen, so dass die Steuern aus der Substanz der Vermögen entrichtet werden müssen. Eine Praxis, die Prof. Starbatty jüngst als verfassungswidrig bezeichnete).
Dazu kommt: Die Geldpolitik der Notenbank ist nur eine Determinante des Zinses. Vor allem am langen Ende hat er etwas mit Angebot und Nachfrage nach Kapital zu tun. Und wie sieht es damit in einer Krise aus? Richtig, das Überangebot an Sparkapital und der Mangel an profitablen Investitionen drückt auf den Preis des Geldes. Deshalb wird am Ende nur eine Überwindung der Krise zu steigenden Zinsen führen. Im derzeitigen Umfeld kämen Zinserhöhungen jener politischen Manipulation gleich, die die Ordoliberalen immer beklagen, nicht Zinssenkungen.
Wenn am „kurzen“ Ende nichts mehr zu verdienen ist, gehen die Investoren ins Risiko und damit ans „lange“ Ende, also z.B. 5-10jährige Staatsanleihen. Insofern hat die Zentralbank schon einen Einfluß auf die langfristige Finanzierung über den Kapitalmarkt.
Und noch ein Wort zu den Sparkassen, den selbst ernannten Lobbyisten der Sparer: Statt die Notenbank anzugreifen, sollten sie ihren Job erledigen und den Sparern ordentliche Produkte für den Vermögensaufbau anbieten. Denn wie die Allianz richtig schreibt: In Zeiten von Niedrigzinsen wäre es rationaler, auf der Risikoleiter einige Stufen nach oben zu klettern, um so den Verfall der Renditen auszugleichen. Dies würde beispielsweise auch die Bevorzugung langfristiger Investments implizieren.Deshalb haben wir es auch nicht mit finanzieller Repression zu tun, denn niemand wird ja gezwungen, deutsche Anleihen zu halten. Es gibt viele Argumente gegen langfristig niedrige Zinsen: Sie können Inflation verursachen oder zu Verzerrungen bei der Kapitalallokation führen – die Debatte über die Sparer ist nichts anderes als Wirtschaftspopulismus.
Falsch. Denn der nordeuropäische Sparer hat ein Interesse daran, dass die Zinsen nicht zugunsten der (weiteren) Verschuldung einiger unsolider Länder weiter sinken. Ja, es ist ein Verteilungsproblem. Und es ist ungerecht, dem deutschen Kleinsparer Zinsen und Renten zu beschneiden, damit unsolide Staaten, Zockerbanken, oder klamme Haushalte im Süden oder Nordwesten Europas „weiter so“ machen können. Daher muß die Diskussion geführt werden.
Quellen: