EU-Energie-Kommissar Oettinger (CDU) hat in einem lichten Moment Aussagen von sich gegeben, die einem den Atem verschlagen. Er spricht von unregierbaren Ländern in der EU und sieht pechschwarz für Frankreich. Geht Oettinger bald in Ruhestand, dass er plötzlich Sachen ausplaudert, die ohnehin jeder weiß?
EU-Kommissar Günther Oettinger hat die Europäische Union als Sanierungsfall bezeichnet. (…)
„Mir macht Sorge, dass derzeit zu viele in Europa noch immer glauben, alles werde gut.“ Brüssel habe „die wahre schlechte Lage noch immer nicht genügend erkannt“. Statt die Wirtschafts- und Schuldenkrise zu bekämpfen, zelebriere Europa „Gutmenschentum“ und führe sich als „Erziehungsanstalt“ für den Rest der Welt auf.Auch die Lage in einigen EU-Mitgliedsländern sei besorgniserregend. „Mir machen Länder Sorgen, die im Grunde genommen kaum regierbar sind: Bulgarien, Rumänien, Italien“, zitierte die Zeitung Oettinger. (…)
Besorgt äußerte sich Oettinger dem Blatt zufolge auch zur wirtschaftlichen Lage Frankreichs. Das Land sei „null vorbereitet, auf das, was notwendig ist“, sagte der deutsche EU-Kommissar laut Zeitung. (…)
Man kann sich kaum vorstellen, dass diese Worte reiner Zufall sind. Vielleicht wird Oettinger von den EU-Granden vorgeschickt, um die nächste Runde Souveränitätsabgabe einzuläuten? „Kaum regierbare Länder“ brauchen womöglich eine EU-Diktatur?
Beistand bekam Oettinger von FDP- und CDU-Leuten. Kritik kam aus dem Büro Barroso, von EU-Parlaments-Ched Matrin Schulz (SPD) und von den Grünen. Hier einige Reaktionen:
+++ „Oettinger ist der Gaul durchgegangen“
„Da ist Oettinger wohl bei einigen Äußerungen der schwäbische Gaul durchgegangen“, sagte EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) exklusiv der „Welt“.
„Wer die EU als Erziehungsanstalt bezeichnet, sollte sich nicht selbst wie ein Oberlehrer aufführen“, rät Schulz seinem deutschen Kollegen Oettinger. Der EU-Parlamentspräsident räumte gegenüber der „Welt“ ein, dass sich die EU gerade nicht in bester Verfassung befinde. „Ich bin mit Oettinger einer Meinung, dass erheblicher Reformbedarf besteht“, so Schulz – „und zwar insbesondere bei seiner eigenen Behörde, der Kommission.“
„Sicherlich besteht in Frankreich Reformbedarf, das ist unstrittig“, sagte Martin Schulz der „Welt“. Das sehe auch die französische Regierung so, die dabei sei, jahrelang Versäumtes nachzuholen. „Woran kein Bedarf besteht, sind Ratschläge von Herrn Oettinger, wie das zu machen ist“, wies Schulz den EU-Kommissar in seine Schranken.
„Ich habe großes Vertrauen in die ökonomische Leistungsfähigkeit Frankreichs“, sagte Schulz der „Welt“. Das Gleiche gelte für Italien. „Enrico Letta ist ein Glücksfall für das Land“, attestierte der EU-Parlamentspräsident.
Eine Sprecherin des EU-Kommissionspräsidenten José Manuel Barroso bezeichnete die Äußerungen Oettingers als „persönliche Einschätzungen eines Politikers zu verschiedenen Fragestellungen“. Wenngleich auch nicht offen kommuniziert, distanziert sich die EU-Kommission damit von den offenen Worten ihres Energiekommissars.
Auf wenig Gegenliebe stießen Oettingers offene Worte hingegen bei den Grünen. „Oettinger ist dabei, die Europäische Politik zu einem Sanierungsfall zu machen“, sagte die Fraktionschefin der Grünen im Europaparlament, Rebecca Harms. Der deutsche EU-Kommissar arbeite darauf hin, die Errungenschaften in der Energie- und Klimapolitik zurückzudrehen, und müsse dringend gestoppt werden. Unterstützung erhielt Harms in diesem Punkt von ihrem Parteikollegen und Spitzenkandidaten Jürgen Trittin, der Oettinger als den „Oberlobbyisten der Industrie in Europa“ bezeichnete.
Er hat ja klar heraus gestellt, dass ein Systemfehler in der EU besteht. Ich sehe darin nicht, dass er eine weitere Runde einläuten will. Es scheint er sagt was er tatsächlich meint.