Heute gibt es einen Gastartikel von Prof. Hans-Werner Sinn in der FAZ. Das ist immer interessant, weil er das Ausmaß der Euro-Rettung genau beziffern kann und auf Gefahren aufmerksam macht. Der Artikel wendet sich gegen den Vorschlag des Großinvestors George Soros, der von Deutschland knallhart die Einwilligung in Eurobonds oder den Austritt aus der Währungsunion verlangt.
Allerdings ist Prof. Sinn nicht ganz frei von einer idealisierenden Einstellung gegenüber dem Euro. Er würde den Euro gerne aus ideologischen Gründen behalten, aber auf ein einigermaßen erträgliches Maß zurechtstutzen.
Prof. Sinn fordert ( wie Prof. Lucke von der AfD!) ein Ausscheiden von Ländern, die vom Euro volkswirtschaftlich ruiniert werden und die damit andere Länder in ihrer Wirtschaftskraft hinunterziehen. Die Probleme in der dann verbleibenden Eurozone sollen laut Prof. Sinn durch Anpassungen von Preisen und Löhnen in den Griff bekommen werden. Die AfD tendiert hier mehr zu einer Lösung, bei der Parallelwährungen eingeführt werden (Vorschlag von Prof. Hankel).
Leider ist der Artikel ist der Artikel von Prof. Sinn sehr kompliziert geschrieben. Man muss, um den Artikel zu verstehen, folgendes wissen: früher konnte ein Land seine eigene Währung auf- oder abwerten, um sich dem Wettbewerb mit anderen Ländern anzupassen. Ein wenig erfolgreich wirtschaftendes Land konnte seine Währung abwerten und auf diese Weise seine Exportchancen verbessern. Das ist in einem System ohne Wechselkurse nicht mehr möglich. Auch der Leitzins ist für die gesamte Eurozone einheitlich vorgegeben. Also kann man sich in der Eurozone nur noch mit zwei Stellschrauben anpassen: mit dem Lohnniveau und dem Preisniveau.
Preisniveau: Dazu muss man sagen, dass die EZB eigentlich den Auftrag hat, die Inflation unter 2 Prozent zu halten. Das ist vertraglich vereinbart. Dies ist wichtig, weil eine zu hohe Inflation der Volkswirtschaft schaden kann. Der Präsident der Deutschen Bundesbank warnt daher auch immer wieder vor EZB-Ankäufen von maroden Staatsanleihen, da dies die Geldmenge im Euroraum künstlich erhöht.
Lohnniveau und Presiniveau hängen wiederum zusammen: hält man das Lohnniveau niedrig, stärkt man seine Wettbewerbsfähigkeit. Dann dürfen aber die Preise nicht steigen, weil sonst die Löhne nicht mehr zum Leben reichen. Diese Strategie ist typisch für Deutschland, funktioniert aber seit Einführung des Euro nicht mehr, weil unsere Kaufkraft extrem gesunken ist und immer mehr Menschen von ihrem Einkommen nicht mehr leben können.
In den Südländern hingegen ist das Lohnniveau stärker angestiegen als es der Wirtschaftskraft dieser Länder entspricht. Es wurde dort also überproportional konsumiert.
Hier nun die wichtigsten Aussagen von Prof. Sinn:
Das fordert George Soros:
Großinvestor George Soros setzt Deutschland die Pistole auf die Brust. Es solle entweder Eurobonds zustimmen oder den Euro verlassen. Nur so könne der Euro funktionieren. Die lateineuropäischen Länder sollten den Widerstand gegen Deutschland organisieren.
Das sagt Prof. Sinn:
Die Argumente von Soros stechen nicht. Wenn jemand aus dem Euroverbund austreten sollte, dann sind es die Länder, die mit dem Euro nicht mehr zurechtkommen.
Eurobonds sind inakzeptabel:
Die Euro-Krise entstand, weil die Investoren die Risiken eines Engagements in Südeuropa unterschätzten und deshalb zu viel Kapital dorthin schickten, was zu einer inflationären Kreditblase führte und die Südländer ihrer Wettbewerbsfähigkeit beraubte. Eurobonds würden diese Unterschätzung der Risiken nur noch institutionalisieren und damit verhindern, dass die Märkte ihren Fehler korrigieren.
Deutschland kann die Eurobonds nicht akzeptieren. Der Ausschluss jeglicher Schuldensozialisierung war Deutschlands Bedingung für die Aufgabe der D-Mark bei den Verhandlungen zum Maastrichter Vertrag (Artikel 125 AEUV). Das Bundesverfassungsgericht hat angedeutet, dass Deutschland eine Volksabstimmung brauchte, um Eurobonds einzuführen. Der Bundestag hat nicht das Recht, solch eine Entscheidung zu treffen, weil sie die verfassungsmäßigen Grundlagen der Bundesrepublik Deutschland verändern würde.
(Stimmt der Bundestag für Eurobonds, haben alle Deutschen nach Artikel 20 Grundgesetz also ein Widerstandsrecht!)
Die Beruhigung der Finanzmärkte durch Eurobonds und andere öffentliche Garantien für Investoren löst das Wettbewerbsproblem aber nicht, ganz im Gegenteil. Sie erlaubt den betroffenen Ländern, auf die notwendigen Preis- und Lohnsenkungen zu verzichten, und stärkt den Außenwert des Euro, was das Wettbewerbsproblem verschlimmert.
Verlässt Deutschland die Eurozone, so gibt es folgende positive Effekte:
Soros behauptet, Deutschland werde nach einem Austritt unter der Aufwertung seiner Währung leiden. Das stimmt nicht. Zum einen ist Deutschland zurzeit im Euro unterbewertet und würde deshalb über den „Terms-of-Trade-Effekt“ von einer begrenzten Aufwertung nur profitieren. Der Vorteil billigerer Importe würde den Nachteil einer etwas schlechteren Exportkonjunktur mehr als aufwiegen. Zum anderen könnte die Bundesbank eine exzessive Aufwertung verhindern, indem sie, ähnlich wie es die Schweizer Notenbank tat, eigene Währung gegen ausländische Wertpapiere verkauft. Deutschland ginge es dann wesentlich besser als heute, weil es statt bloßer Target-Forderungen* (s.u.) echte marktfähige und gut verzinsliche Wertpapiere akkumulieren würde.
Trotzdem meint Prof. Sinn, Deutschland sollte in der Eurozone bleiben. Er begründet das allerdings sehr vage:
Ich betone aber von neuem, dass Deutschland dennoch nicht aus dem Euro austreten sollte, weil der Euro ein zentrales europäisches Integrationsprojekt ist und nach der Lösung der Krise potentiell nützliche Wirkungen für den innereuropäischen Handel haben könnte.
Der eigentliche Grund ist aber wahrscheinlich ein anderer. Verlässt Deutschland die Eurozone, sind womöglich 545 Milliarden Euro in den Sand gesetzt:
Bis heute hat die Staatengemeinschaft einschließlich der Europäischen Zentralbank (EZB) den GIPSIC-Ländern 1,185 Billionen Euro Rettungskredite gewährt: 707 Milliarden Euro Target-Schulden* (s.u.) abzüglich der Forderungen aus einer unterproportionalen Ausgabe von Banknoten, 349 Milliarden intergouvernementale Rettungskredite einschließlich der Kredite des Internationalen Währungsfonds (IWF), 128 Milliarden Euro Käufe von Staatspapieren der GIPSIC-Länder durch die Notenbanken der Nicht-GIPSIC-Länder (www.CESifo.org). Dabei sind die unbegrenzten Garantien der EZB für die Staatspapiere Südeuropas im Rahmen des OMT-Programms, die zu Lasten der Steuerzahler der bislang noch gesunden Länder Europas abgegeben wurden, noch nicht gerechnet. Sollte der Euro zerbrechen und die GIPSIC-Länder in Konkurs gehen, verlöre Deutschland 545 Milliarden Euro, also fast die Hälfte der genannten Summe, denn die Bundesbank hat die meisten der Nettozahlungen zugunsten der GIPSIC-Länder geleistet, die durch die Target-Forderungen* (s.u.) gemessen werden.
Prof. Sinn empfiehlt für die Südländer einen Austritt aus der Eurozone und eine Abwertung ihrer nationalen Währung:
Soros behauptet, dass ein Austritt der Südländer deren externes Schuldenproblem verschlimmern würde. Das Gegenteil ist der Fall. Natürlich würde ein Austritt nebst der nachfolgenden Abwertung die Schulden in Relation zum Bruttoinlandsprodukt erhöhen, doch würde eine reale Abwertung durch Deflation im Euroverbund genau dieselbe Wirkung haben. Wenn man die Eurozone nicht inflationieren will, lässt sich die Wettbewerbsfähigkeit der Südländer nur durch eine offene Abwertung nach einem Austritt oder durch eine interne Abwertung durch Preissenkungen erreichen, und das wiederum ist der einzige Weg, die Leistungsbilanzüberschüsse strukturell zu verbessern und die Schulden auf geordnete Weise zurückzuzahlen. So gesehen ist ein temporärer Anstieg der Schulden in Relation zum Bruttoinlandsprodukt gar nicht vermeidbar, wenn ein Land Schulden tilgen und wieder auf ein tragfähiges Schuldenniveau kommen will.
Und nun kommt der entscheidende Nachteil für Deutschland in Prof. Sinns Konzept:
Nach meiner Meinung sollten wir allerdings etwas mehr Inflation im Norden der Eurozone akzeptieren, um auf diese Weise einen Beitrag zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit des Südens zu leisten.
Dazu sagt der Wirtschaftsfachmann unserer Ortsgruppe MG:
Die Idee von Prof. Sinn ist: in Deutschland soll die Nachfrage nach Gütern steigen. Löhne also nach oben! Dadurch steigen die Lohnkosten und die Preise deutscher Waren. Die südeuropäischen Güter hingegen bleiben gleich teuer oder werden billiger. Damit sollten Deutsche alles in allem über einen höheren Reallohn verfügen. Wir werden aber mehr importieren und mehr Güter aus den Südländern verbrauchen. Das hilft der Wirtschaft (Exportsteigerung) in den Südländern.
Sinn beschreibt einen schwierigen Weg, in Europa die Leistungsbilanzgleichgewichte wieder herzustellen. Das ist zu begrüßen. Aber dieser Weg wird in Deutschland Arbeitsplätze im Exportsektor kosten. Das muß so sein, denn unser „Geschäftsmodell“ Exportweltmeister ist eben nicht nachhaltig, weil wir bislang für nicht-zahlungsfähige Konsumenten produzieren, und die Rechnung hernach selber bezahlen (s.u. Target-Salden*).
Die Idee, dass Länder wie GR oder CY aus dem Euro austreten sollen, halte ich für richtig. Auch aus dem Disziplinierungsgedanken heraus für die anderen potenziellen Schuldenmacher. Würde Deutschland hingegen austreten, wäre der letzte Anreiz verloren, sich diszipliniert zu verhalten. Der Club Med würde eine Weichwährungs-Verschuldungszone werden, die weltwirtschaftlich bald auf das Niveau eines Schwellenlandes herabsinken würde. Das wäre für Deutschland u.U. noch bedrohlicher (noch weniger Handel, mehr Zuwanderung, die Rolle des Dollar als Weltreservewährung würde über Gebühr gestärkt).
Der Nachteil an dieser Konstellation ist aber klar: deutsche Waren würden teurer werden, der Export würde sinken (und zwar überall hin und nicht nur in die Eurozone!), Arbeitsplätze würden wegfallen. Man erzählt uns aber seit Jahren, wir bräuchten den Euro, weil wir dadurch günstiger auf dem Weltmarkt anbieten könnten, der Euro für den Export günstiger sei und wir somit mit dem Euro Arbeitsplätze sichern würde. Hier beißt sich also die Katze in den Schwanz. Man kann daher zum heutigen Stand sagen: der Export zieht nicht als Argument für den Euro. Deutschland hat auf dem Sektor Export nichts durch den Euro hinzugewonnen – außer einer Menge Haftungsrisiken.
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*Erläuterung Target-Salden:
Target-Kredite entstehen im Euro-Notenbanksystem, weil man vergessen hat, einen jährlichen Saldenausgleich einzubauen. Auf diese Art und Weise können Länder auf Pump im Ausland einkaufen. Im Moment haben Spanien, Italien, Griechenland usw. für ca. 600 Milliarden Euro bei Deutschland anschreiben lassen. Die Deutsche Bundesbank kann sich dagegen nicht wehren. Sie wird zur Gewährung dieser Kredite gezwungen. Diese Kredite sind nicht nur unfreiwillig, sondern auch unbefristet und ungesichert und miserabel verzinst (1%). Die 600 Milliarden Euro fehlen seit Jahren als Investionssumme in Deutschland.