Die Welt bringt heute ein sehr ausführliches und aufschlussreiches Interview mit dem Top-Ökonomen Hans-Werner Sinn vom ifo-Institut. Es geht dabei nicht nur um die fatale Euro-Rettungspolitik, sondern auch um unsere verheerende demographische Lage, das Rentensystem, die Familien, die Bildung und den Energiesektor. Lesen Sie es unbedingt! Hier die wichtigsten Aussagen:
Demokratie und Wahlen:
Auch Eltern für ihre Kinder ein Wahlrecht zu geben, damit die langfristigen Konsequenzen der Politik bei den Abstimmungen mehr Gewicht erhalten.
Zugleich kann ich mir bei konkreten Einzelfragen direkte Volksabstimmungen vorstellen wie in der Schweiz.
Die inhaltsleeren Personality-Shows, die wir bei Wahlen veranstalten, sind kontraproduktiv.
Euro:
Natürlich kann Deutschland auch ohne den Euro existieren.
Die Horrorszenarien, die für einen Austritt gemalt werden, sind allesamt übertrieben. Insbesondere stimmt es nicht, dass die Exportindustrie dann kaputtginge.
Ein bisschen Aufwertung täte Deutschland gut, weil der Vorteil der Verbilligung der Importe den Nachteil eines schlechteren Exportgeschäfts mehr als aufwiegen würde. Stärkere Aufwertungen könnte die Bundesbank jederzeit verhindern, indem sie ausländische Wertpapiere gegen eigene Währung erwirbt, ähnlich wie die Schweizer Notenbank es tat. Diese Wertpapiere träten dann an die Stelle ihrer ziemlich wertlosen Target-Forderungen im heutigen System. So gesehen gäbe es technisch gesehen allerlei Vorteile.
Allerdings sollte Deutschland den Euro aus politischen Gründen nicht verlassen, weil der Euro ein zentrales europäisches Integrationsprojekt ist, und auch, um nicht die Auslandsforderungen unserer Banken und Versicherungen, nicht zuletzt die alten Target-Forderungen der Bundesbank, zu entwerten.
Wenn ein Land mit dem Euro nicht zurechtkommt, weil es nicht mehr wettbewerbsfähig ist, sollte es besser selbst austreten. Deutschland sollte aufhören, solche Länder künstlich mit immer mehr öffentlichen Krediten, die nie zurückgezahlt werden, im Euro zu halten.
Es war ein Riesenfehler, den Maastrichter Vertrag zu brechen und Griechenland mit öffentlichen Krediten von mittlerweile 160 Prozent des BIP, die nie bedient werden, im Euro zu halten. Das hat unseren und den französischen Banken geholfen, auch so manchen Reichen in Griechenland, doch für die Bevölkerung hat es nur Arbeitslosigkeit und Siechtum bedeutet.
Griechenland wäre inzwischen schon lange über den Berg, wäre es im Frühjahr 2010 in Konkurs gegangen und ausgetreten. Es wäre von seiner Schuldenlast weitgehend befreit worden und hätte mit einer abgewerteten Drachme seine Wettbewerbsfähigkeit wieder erreicht. Die Jugendarbeitslosigkeit wäre ganz bestimmt nicht 60 Prozent wie heute.
Sollten sich die Schwierigkeiten der großen Länder vergrößern, könnten wir den bei Griechenland eingeschlagenen Kurs mangels Kasse ohnehin nicht durchhalten.
Bei den Summen, für die die deutsche Regierung im Zuge der Euro-Rettungspolitik Haftung übernommen hat, kann einem schlecht werden. Politiker gehen viel zu leichtfertig mit dem Geld ihrer Bürger um. Müssten sie die kostenträchtigen Entscheidungen im Einzelnen dem Volk zur Abstimmung vorlegen, ähnlich wie es in der Schweiz der Fall ist, kämen mit Sicherheit ganz andere Entscheidungen zustande.
Stimmung in Europa:
Die Steine, die man auf uns wirft, werden immer größer werden, je länger wir die jetzige Politik fortsetzen.
Was wir in Griechenland zulassen, ist eine Katastrophe für die Menschen dort, und man lastet uns Deutschen die Fehler dieser Politik an, obwohl wir das meiste Geld geben.
Wir werden durch eine solche Politik ärmer und ziehen zugleich immer mehr Hakenkreuzfahnen auf uns.
Größter Wunsch:
Eine Fee würde kommen, das ganze Euro-Desaster in Luft auflösen und die Hakenkreuzfahnen einholen, die derzeit in den Köpfen so vieler Europäer gegen uns geschwungen werden. Dann könnte ich wieder ruhiger schlafen.
Was die Politik tun sollte:
Deutschland sollte seiner Verantwortung gerecht werden und nach wirklich tragfähigen Lösungen für die Euro-Zone suchen, die nur in einer flexibleren Gestaltung des Währungssystems zwischen einem Festkurssystem und einer nationalen Währung wie dem Dollar bestehen können.
Mir schwebt eine offene Währungsunion vor, aus der man temporär austreten kann, wenn man nicht zurechtkommt und dabei auf Hilfen der Staatengemeinschaft für den Übergang rechnen kann.
Ich bin für einen Marshallplan für Griechenland nach dem Austritt, den wir gegebenenfalls auch im Alleingang stemmen. Das ist besser und billiger, als alles Geld durch kollektive Rettungsinstitutionen wie die EZB verteilen zu lassen, bei denen wir kaum etwas zu sagen haben, aber am meisten zahlen und dann dennoch den Schwarzen Peter bekommen.
Ich möchte niemandem zu nahe treten. Nur wenn ich sehe, welcher geballte ökonomische Sachverstand in den USA in der Politik vertreten ist, dann erkenne ich [in Deutschland] schon gewaltige Defizite. Dies wird Deutschland teuer bezahlen müssen.
Probleme, die die Altparteien verschleiern:
Die finanzielle Solidität unseres Landes ist verloren gegangen.
Die versteckten Staatsschulden und Risiken sind durch die deutsche Vereinigung und eine fehlerhafte Euro-Politik gewaltig gewachsen, und zugleich nähert sich der Zeitpunkt, zu dem unsere Babyboomer, die jetzt Ende 40 sind, in die Rente wollen, ohne dabei auf die Unterstützung der nachfolgenden Generation rechnen zu können, die ja nur dünn besetzt ist.
Dadurch werden die Lasten, die unsere Kinder zu tragen haben, verschleiert.
Die Arbeitslosigkeit ist heute mehr als sechs Mal so groß als zur Zeit, da ich studierte.
Wir haben Jobs, verlieren durch die Euro-Politik aber immer mehr von unserem Vermögen, ohne es zu merken.
Die deutsche Vorstellung, wir würden den Weltverbrauch an fossilen Brennstoffen verringern und so den Klimawandel verlangsamen, indem wir auf Ersatztechnologien umsteigen, ist naiv.
Wir kasteien uns, indem wir den Strompreis gegenüber Frankreich verdoppeln und gegenüber den USA vervierfachen, und doch hilft es dem Klima nicht.
Die Windmühlen in Norddeutschland sind Sakralbauten zur Befriedigung grüner Glaubensbekenntnisse, doch nicht das Ergebnis einer rationalen Energiepolitik für die Bevölkerung und die Wirtschaft. Die Deindustrialisierung, die wir gerade im Bereich der Energiewirtschaft betreiben, indem wir funktionierende Kraftwerke verschrotten, gehört zu den Sünden, die wir gegenüber unseren Nachkommen begehen.
Deutschland hinkt in den Pisa-Tests noch immer hinterher, weil wir Begabungsreserven nicht heben.
Unser Schulsystem ist zwischen den Wegen nicht durchlässig genug und trennt die Schüler viel zu früh in verschiedene Zweige.
Die Schüler verbringen zudem zu wenig Zeit in der Schule, und die Lehrer sind zu schlecht bezahlt.
Wir tun zu wenig, um die vielen Ausländerkinder schon im Kleinkindalter in die deutsche Gesellschaft zu integrieren, und lassen zu, dass sich Parallelgesellschaften entwickeln.
Deutschland hat, gemessen an seiner Bevölkerungsgröße, die geringste Zahl von Neugeborenen unter allen entwickelten Ländern der Erde. Das gefährdet die finanzielle Stabilität unser Sozialversicherungssysteme und die Stabilität der Gesellschaft an sich.
Es bedarf einer groß angelegten Änderung der Anreizsysteme, die Eltern wieder die Anerkennung zukommen lässt, die sie verdienen und benötigen, um ihr Leben mit Kindern als Bereicherung zu empfinden. Dazu gehört eine Rückbesinnung auf traditionelle Werte, aber auch ein Ende der finanziellen Diskriminierung der Familien in unserem Renten- und Steuersystem.
Es gilt, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu stärken und das Rentensystem so umzugestalten, dass die Sozialisierung der Beiträge der Kinder zulasten der Eltern, die wir heute in riesigem Umfang betreiben, zumindest abgemildert wird.
Die Familien allein sorgen dafür, dass später überhaupt Renten gezahlt werden können, denn wir haben ein Umlageverfahren. Die Beiträge, die man im Arbeitsleben in die Rentenversicherung einzahlt, fließen ja nicht in einen Topf, sondern dienen der Ernährung der Generation der eigenen Eltern. Diese Beiträge stehen nicht mehr zur Verfügung, wenn man selbst in die Rente will. Vielmehr muss man dann von der nächsten Generation, also den heutigen Kindern, ernährt werden.
Damit dieses System funktioniert, müssen die Menschen in ihren gesunden Jahren zwei Lasten tragen. Sie müssen Rentenbeiträge zahlen und zusätzlich müssen sie Kinder großziehen. Dieser zweiten Last haben sich zu viele Menschen entzogen.
Leider ist das deutsche System heute rechtlich so gestrickt, dass es den Versicherten das Gefühl gibt, die Beiträge zur Rentenversicherung würden reichen, einen Anspruch auf Renten zu sichern. Dieser Anspruch hängt aber in der Luft, wenn es keine Kinder gibt.
Weil das so ist, sollte man die Rentenformel umbauen, um Eltern sehr viel mehr Anerkennung für ihre Erziehungsleistung zu zollen, als es heute der Fall ist.
Die Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern ändert sich. Aber das sollte man nicht durch die Politik zu steuern versuchen, sondern den Menschen selbst überlassen. Die Gesellschaft sollte offen sein für alternative Lebenswege. Politische Verhaltensdiktate, die darauf hinauslaufen, den neuen Menschen nach den Vorbildern irgendeiner Elite zu schaffen, halte ich für äußerst bedenklich.
Steuerehrlichkeit ist eine Grundvoraussetzung für ein funktionierendes Gemeinwesen. Es ist richtig, das der Staat hier hart vorgeht.